Wie viele Leser hat ein Buch?

Wieder einmal wollte ich an meinem Buch weiterschreiben. Gräßlich, dass ich aber immer nach den Verkaufszahlen gefragt werde. Wenn ich abends zum Essen koche, fragt mich keiner meiner Freunde: “Wieviele waren das letzte Mal beim Essen dabei? Und wieviele waren maximal schon da?” Der Erfolg meiner Abendessen misst sich an der Qualität des Gekochten und an unseren Gesprächen.

 

Da mir die Maße fürs Schreiben abhanden gekommen waren, schrieb ich also wieder einmal nicht mehr weiter. Ich öffnete eine Flasche Rotwein. Ich hatte ja zudem beschlossen, den verdammten Weinkeller leerzutrinken. Über die Jahre habe ich so viele Flaschen gesammelt, dass mir die Vorstellung flöten gegangen ist, wann ich das alles wohl leer trinken könne. Schon wieder so ein quantitatives Problem. Irgendwann muss ich aber damit mal anfangen! Dieses Mal ist es ein Montiano 2001. Alleine die Montianos werden nicht weniger.

 

Und wer trinkt mit? Immer wieder andere. Ich lade sie zum Essen ein. Ich koche Fisch, mariniere die Alice, ich bereite Sepie und Oktopoden zu, ich mag halt diese Meeresfrüchte so sehr. Und mit ist es scheißegal, ob man dazu Weißwein trinkt, zum Fisch, oder nicht. Kochen soll keine Rechtschreibung kennen, finde ich. So trinke ich meinen Rotwein dazu. Und all dies werde ich so lange tun, bis die Weinflaschen sichtbar weniger werden. Das ist jetzt mein Beschluss für die nächste Zeit.

 

Mein Buch kommt nur untertags vorwärts. Am besten geht es in der Früh nach dem Spaziergang am Fluss. Abends esse ich und trinke ich, oft mit Freunden, und wenn es Neptun hergibt, an einem mit Meeresessen beladenen Tisch. Während alle reden, tu ich manchmal nur so, als höre ich zu, und denke in Wirklichkeit an mein Buch. Ich habe ursprünglich so viel Druck gehabt, dieses Buch zu schreiben. Jetzt ist es ein ganz normaler Teil meines Lebens geworden.

 

Mittlerweile schreibe im gleichen Tempo, wie ich abends an den Gläsern nippe. Meine Ideen kann ich nicht erzwingen. Meine Worte nicht vergewaltigen. Pausen dazwischen müssen sein. Es ist eigenartig, wie nach ganz bestimmten Pausenlängen Ideen kommen oder nicht. Wenn die Pause zu kurz ist, kommt nichts. Wenn sie zu lang ist, auch nicht. Aber Zwischenräume brauchen sie.

 

Leider kann ich meine Leser nicht zu meinen Büchern einladen, wie ich meine Freunde zum Abendessen einlade. Wenn ich abends koche, dann nie für mehr als für vier oder sechs Personen. In grossen Ausnahmefällen mal für acht oder zehn. Ich habe mir wegen meiner Kochleidenschaft auch schon mal Gedanken darüber gemacht, ein Restaurant zu eröffnen. Doch bei der Vorstellung an den damit verbundenen Erwartungsdruck sind mir diese Gedanken so schell vergangen, wie die Träume einer angetrunkenen Nacht. Oxder das Buchschreiben, wenn ich ständig nach meinen Lesern gefragt werde. Deswegen koche ich maximal für so viele Menschen, wie abends an meinen Tisch passen. Fertig aus.

 

Und ich schreibe für so viele Leser, wie in mein Buch passen. Oder zwischen meine Worte. Wie viele das sind, weiß ich wirklich nicht. Ich wills auch nicht wissen.

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