Medienseiten oder: Über das Verbiegen im Strom

 

Eigentlich schade, dass der Begriff „Medien“, das Wort für eine nicht ganz leicht mit zwei Sätzen zu beschreibende Branche, auch die Journalisten umklammert. Und obendrein mittlerweile auch Schauspieler, Maler, Autoren…

 

Seit geraumer Zeit versuche ich, in diesem Betrieb nicht mehr mitzumachen. Meine Schwimmbewegungen neigen dabei oft zur Erschöpfung. Muskellähmung. Es geht ja nur gegen den Strom. Bei seitlichen Rauszuschwimmversuchen reißt es mich sofort wieder mit dem Wasser mit. Einschaltquoten, Auflagen, Umsatzzahlen, oh schau, dort leuchtet plötzlich ein strahlendes Projekt!

Jetzt schreib ich also Bücher, dachte, da kann ich endlich tun und lassen, was ich will, mit meinen Worten. Die drei Standardfragen, die sie mir stellen, sind:
„Wie lang hast du für das Buch gebraucht? Wieviel haben sie dir gezahlt? Wieviel hat es verkauft?“
Dann hagelt es Tips, wie ich durch gut eingesetzte schreiberische Kunst eventuell einen Bestseller erzwingen kann, weil anscheinend Bücher nur dann als erfolgreich gelten, wenn sie sich, so wie es heute auch Computern, Schränken und Tischen geht. Sie müssen bei Ikea oder Mediamarkt gut verkauft werden.

 

Wenn ich die Medienseiten aufschlage, spüre ich wieder diesen Geschmack von damals auf der Zunge, den ich eigentlich loshaben wollte. Das Stinken der Fernsehstudios, schwarze Stromkabel, Putzmittel und heiße Scheinwerfer, diese Mischung aus alles blitzblankgewienert und Totalchaos, der Fernsehjournalismus und diese Regionalserien, die wie virtuelle Rechen durch die Menschen pflügen, das Kerosin der aufsteigenden Flugzeugjets. Und überall diese herumwuselnden Menschen, deren Kreativität sich verbiegt, ohne dass sie es selbst bemerken. Zwanghaft befällt mich bei dem Zungengeschmack sofort der Umblätterzwang. Dann fühle ich mich wie ein Mensch, der viel zu lange in einem Krankenhaus gelegen war. Seine Krankheit hatte in krank gemacht. Er will einfach nie mehr zum Arzt gehen, weils dort genauso riecht.

„Nein”, dachte ich daher, als ich heute die SZ aufschlug, “in diese Rubrik schaue ich nicht hinein, ich will das alles nicht mehr sehen, hören und lesen.“

 

Medienseiten hatten ja mal den Sinn, dieses Wuchern journalistisch zu begleiten. Das kritische journalistische Auge hatte uns daran gehindert, völlig auszuflippen.

 

Es hatte in den 90ern begonnen mit den Medienseiten. Damals erzeugte der botanische Mediengarten allerdings noch Irrwüchse en masse. Doch dieses ewige Berichten über diese heutige Medien-Formel1-Rennbahn mit den immer gleichen Autos, ihren immer gleichen Protagonisten, die sich wie Ikea-Schränke zu inflationieren versuchen, um als erfolgreich zu gelten, diese getunten Stories über die immer gleichen MBA-Abgänger, die es in diese oder jene Position der Programmgestaltung geschafft haben, und nun spielt auch Til Schweiger einen Tatort-Kommissar, offenbar die Krönung einer erfolgreichen Schauspieler-Karriere, wie man beim Lesen der Vitas zu den Namen der vielen Tatort-Polizisten denken mag, aber dazu wird ja nichts geschrieben, also: was soll das eigentlich noch?

 

Ein bißchen was davon veranschaulicht die aktuelle Medienseite der Süddeutschen Zeitung. Hier wird am Phänomen der sogenannten ‘Tatort-Kommissar-Inflation’ gestrickt. Knapper als eine knappe Seite gings nicht (wegen der Unterbringung all dieser Kommissare und Regionen). Wie bei einer Art ‚Method-Reading‘ vermittelt dieser Artikel das Gefühl teilnahmloser Beteiligung, und fühle ich Lesender mich beim durch die Zeilen arbeiten immer mehr wie eine Stricknadel, die ständig eine Masche verliert. Fehlte da nicht gerade ein Satz? Um was dreht es sich nun eigentlich? Ah, jetzt sind wir gerade beim Tatort in Bremen. Und plötzlich bin ich wieder mitten drin. Zum „glokalisierenden Menschen“ mutiert, der immer ein Wort dafür hat, alles zu erklären. Damals war es das „Infotainment“, mit dem wir den Talkshow-Trash zur journalistischen Gattung erklärt haben, verbales Aspirin für die Landesmedienanstalten. Heute sind es Wortschöpfungen wie die „Glokalisierung“, oder die „Würzburger Komparsen“, die mit „qualifizierten Bartattrappen“, nein, der „katholischen Leiche in Bamberg“, was machen, nein, ach, worum ging es in dem Artikel nochmal?

 

Der Artikel ist ein Sittengemälde über eines der Krebsgeschwüre dieser Branche, den Tatort, in dem sich unsere Fernsehfilmindustrie weitreichend erschöpft, mit dem faden Beigeschmack, dass es über all das auf den ersten Blick nichts mehr zu schreiben gibt. Genau das ist aber das Thema. Dieses scheinbar Harmlose. Es ist ein Artikel, der fast schon mit dem therapeutischen Mittel der “Gegenübertragung” arbeitet. Als wäre er ein Therapeut, löst der Autor (der Journalist) beim Patienten Gähnen aus, ein ‘Uahhh’. Doch leider ist der Patient (die Medien, die Fernsehmacher) unheilbar. Er ist ein Psychopath, der unentwegt den Therapeuten zu therapieren versucht.

 

Deswegen finde ich, sollten Journalisten vom Selbstverständnis her nicht zur Medienbranche gehören, und sich dieses Abhängigkeits-Schauspiel noch viel mehr von aussen ansehen.

 

Damit sie aus dieser Distanz und daher auch viel befreiter über die Medien schreiben können.

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