Zwischenkratzer

Der Moment der Stille ist ein Zwischenraum. Er befand sich einmal  immer dort, wo ich nicht war. Wenn ich Ruhe haben wollte, legte ich deswegen eine gute Platte auf. Oft hab ich die dann voll aufgedreht. Heute muß Stille trainiert werden. Der Yogakurs. Das Zen-Buch auf dem Sofa, die Vorhänge zugezogen, das Räucherstäbchen angezündet, den Miniwasserfall angestellt, vorausgesetzt, die Batterien waren noch voll. Ganz ehrlich: Die meisten Zen-Bücher, die ich in der Hand hielt, habe ich nie gelesen. Schon das Gefühl eines solchen Buches in der Hand erzeugte so viel Stille, daß ich es oft nicht mehr bis zum Aufklappen brachte. Diese Platten, die ich voll aufdrehen konnte, gibt’s kaum mehr. Heute muß ich mit dem Kurser auf dem Bildschirm oder mit dem Daumen auf Touchscreens rumfahren, damit es endlich zu tosen beginnt. Und dann diese Kurse, in denen man mit sich selbst weiterkommt. Ich mag leider nichts, wozu ich in eine Schulung gehen muß, in der mir gezeigt wird, wie ich irgendeinen Geräuschpegel in mir herunter drehen kann. Doch manchmal kratzt es halt in mir, wie bei diesen alten Schallplatten. Und zwischen jedem Kratzer ist dieser wunderbare Zwischenraum. Und den mag ich schon ganz gern. Dann ist so ein Kurs vielleicht gar nicht so schlecht. Jetzt kratz ich mich erst mal gründlich hinter der Schulter.

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