Ist die “Weisse Rose” am Ende angegraut? Der Abend war dem Münchner Gedächtnis an die “Weisse Rose” gewidmet. Immerhin ging es in der Eröffnungsrede im Münchner Literaturhaus erst einmal mit einem rhetorischen Modernisierungsversuch los: Die Antifaschismus – Kampagne des FC Bayern mußte herhalten. Mit dieser eigenartigen Anleihe aus einem populären Trendthema sollte dem Abend vielleicht ein provokativer Pepp verliehen werden. Es wurde nämlich kritisiert, daß mit der Werbung des Fußballclubs die „Weisse Rose“ und das Bildnis der Sophie Scholl unethisch instrumentalisiert würden. Mit einer Parallele zur Che Guevara-Vermarktung wurde diese „Ausbeutung“ solcher Helden-Bildnisse abschließend sogar als „schamlos“ verurteilt. Dabei liegt doch auf der Hand, daß genau diese Vermarktung des Che-Bildes maßgeblich, und später vielleicht sogar weitgehend, dazu beigetragen hat, daß das unnachahmbar wildfrische Freiheitsbild Che`s und der darin verwurzelte Loderwunsch nach der endlich besseren Welt bis heute noch junge Menschen inspiriert. Was um Himmels Willen ist also daran schlecht, wenn die Bildnisse von Mitgliedern der Weissen Rose unsere Fußballspieler und deren Millionen Anhänger in einer Antinazi-Kampagne inspirieren? Wäre es angemessener, das Sophie Scholl – Bildnis auf die T-Shirts deutscher Philosophen zu drucken? Vielleicht, aber was bringt die Publikumswirksamkeit eines Philosophen im Vergleich zu der eines Fußballspielers. Und wen würde man da als Werbeträger nehmen? Richard David Precht? Peter Sloterdijk? Zudem muß man unter den drei deutschen Philosophen (oder habe ich mich verzählt?) vermutlich weniger für den Freiheitsgedanken der Weissen Rose werben, als unter Fußballfans.
Also einige intellektuelle Rittberger gingen heute Abend wirklich zu weit und ich habe mich manchmal bei dem Gedanken ertappt, was das eigentlich für Menschen sind, die solche Initiativen prägen. Das gesamte Tempo der Veranstaltung litt seit dieser Eröffnungsrede unter etwas beinahe unerträglich Gedrosseltem. In einem sich fast pro Wort verlangsamendem Tempo wurden mit träger Stimme endlos die Unwägbarkeiten und Verfehlungen der Heldenverehrung am Beispiel der Weissen Rose reüssiert. Vierzig Jahre alte Beispiele hielten für die „schamlose“ Aneignung des Geistes der Weissen Rose her. Trotz des Insistierens und immer wieder neuer frischer Anschupser der Moderatorin Amelie Fried in der darauffolgenden Podiumsdiskussion verlor der Abend ständig an Fahrt, obwohl das Tempo ohnehin bereits völlig herausgenommen zu sein schien. Es war, als könnte das Thema Gefahr laufen, an sich selbst zu ersticken. Jawohl, es ist noch genügend Bewusstsein zur „Weissen Rose“ vorhanden, gab die zuständige Uni-Historikerin brav Auskunft, denn das Thema würde nach wie vor im Lehrplan von ihren Studienteilnehmern abgefordert.
Der anwesende Kulturminister erinnerte sich – vielleicht um zu erfrischen – danach allen Ernstes an ein Erlebnis vor 40 Jahren, das er, wie er gleich mehrmals betonte, „irre“ fand: Er war nämlich beim Betreten der Münchner Universität von einem „leibhaftigen, freundlich lächelnden Gestapo-Offizier“ begrüßt worden. Naja, dann wurde ihm gesagt, daß dort ein Film gedreht wurde.
Während ich dieser Diskussion zu folgen versuchte, wurde ich das zeitlupenhafte Tempo der Eröffnungsrede nicht mehr los. Ich hatte Schwierigkeiten, all dem weiter zu folgen und bemerkte, wie ein Widerstandsgefühl von mir Besitz ergriff. Gegen all dies. Es ist dieses unangenehme Pauschalgefühl, einfach gegen all so etwas zu sein, was ich hier erlebte. Gegen das Gefühl dieser Zeit, in der man sich wohl fühlt, weil man gegen etwas ist und gegen etwas sein darf. Heute dürfen wir. Damals durften sie nicht und wurden dafür umgebracht. Dagegen sein, ja! Gegen genau das. Gegen alles. Dagegen. Und jetzt erst Recht dagegen, ja, jetzt sag ichs eben doch, obwohl ich mich unwohl fühle, auch einer derjenigen zu sein, die schon wieder gegen etwas sind: Widerstand gegen das Ergrauen solcher Erinnerungen. Gegen diese Langeweile damit. Gegen dieses gekünstelte und aufgebauschte Intellektualverbrämen. Gegen diesen nicht wegblasbaren Staub und eine solche leidenschaftslose, tote Sprache. Und gegen dieses verlogene Understatement, welches sich immer wieder in selbstgefälligen Halbsätzen äußerte, wie mehrmals dieser: „…, naja, zugegeben, vielleicht ist der Heldenstatus der Geschwister Scholl etwas überhöht…“ Und Widerstand gegen das Aneinandervorbeireden und gegen diese aus den Fernsehtalkshows antrainierte, tödlich nervende, die Fragen nicht beantwortende Hybris der Gesprächsteilnehmer, obwohl die Moderatorin laufend versuchte, den Karren dieser Erinnerung in die heutige Zeit zu ziehen. Dieses Elendigliche nicht Zuhören und auf nichts Antworten und nichts Beachten, aber alles wahnsinnig gut Wissen. Widerstand gegen diese erneute Epoche der Ignoranz, in der wir leben, die vielleicht gerade in diesem visionslosen “Gegen alles sein” ihr Gesicht zeigt.
Vielleicht könnte ein äquivalentes Quentchen “Weisse Rose” – Geist darin zu finden sein, wenn wir endlich einmal den Mut hätten, für etwas zu sein. Für eine neue Vision. Dagegen sein braucht heute kaum noch Mut. Es ist modisch geworden, wie allein die FC Bayern – Kampagne zeigt. Doch welche Vision wäre dies denn? Würden dann gleich wieder die stereotypen Worte von unserer “freien demokratischen Grundordnung” fallen? Da wäre ich schon wieder dagegen, und das, obwohl ich weiß Gott ein unverbesserlicher Freiheitsfan bin. Darum, worin sich der Geist der damaligen Bewegung heute wiedererkennen könnte, ging es an dem Abend nicht. Genau das, was Amelie Fried in ihrer einleitenden Frage feststellen wollte, fehlt anscheinend: Bewusstsein dafür, was dies alles heute bedeutet.
Bemerkenswert war auch das Bemühen des Eröffnungsredners, auf die Unterschiede im Heldenstatus verschiedener Weisse Rose – Mitglieder aufmerksam zu machen. Hierdurch wurde deutlich, daß es sich bei der Weissen Rose ja nicht nur um die Geschwister Sophie und Hans Scholl drehte. Diese Organisation bestand neben den berühmten Geschwistern nämlich tatsächlich nicht nur aus Christoph Probst, Willy Graf, Alexander Schmorell oder Professor Kurt Huber. Die Weisse Rose war nicht nur eine solche kleine „Zelle“. Sie war eine lebendige Bewegung. In München ist ihr Gedenkstein ein unansehnlicher und wie fehl am Platz wirkender Steinquader hinter der Bayerischen Staatskanzlei. Hingepfropft in eine der hinterletzten Wegwindungen dieser Stadt. Unlesbares Tagebuchgekritzel eingraviert. Häßlich, weil zweckentfremdet vom Künstler, wie viele dieser modernen Kunstgedenkstätten. Ich stand oft davor und beobachtete die Leute, die nie hinsahen und das Ding als Wegbestandteil umrundeten. Ein Kunstverbrechen. Überhöhter Heldenstatus? Die weißen Rosen und die Steine, die immer wieder auf diesen monströsen Quader gelegt werden, holt immerhin ein Reinigungskommando ab und zu mal wieder herunter, so daß das „Kunstwerk“ nicht zu hoch wird und so bleibt, wie der Künstler es sich ausgedacht hatte.
Der Geist der Weissen Rose, auf deren vermeintlichem „zu hohem Heldenstatus“ heute immer wieder herumgeritten wurde, führte leider nur zu einer Erinnerungsveranstaltung in einem mässig besuchten Saal mit sehr stark ergrauten Menschen. Gott sei Dank aber gab es diesen Abend, so daß dies alles auffallen konnte. Die Weisse Rose benötigt dringend eine Wiederbelebung. Laut Wikipedia war dieser Geist damals übrigens entfacht worden von weit über 32 jungen Menschen. Nur die will ich beim Namen nennen:
Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst, Willi Graf, Alexander Schmorell, Universitätsprofessor Kurt Huber, sowie vielen mitarbeitenden Sympathisanten wie Traute Lafrenz, Hans Conrad Leipelt, Marie-Luise Jahn, Hans Hirzel, Susanne Hirzel, Heinz Brenner, Franz J. Müller, Eugen Grimminger, Jürgen Wittenstein, Lilo Ramdohr, Falk Harnack, Harald Dohrn, Manfred Eickemeyer, Wilhelm Geyer, Josef Söhngen, Heinrich Bollinger, Rudolf Alt, Helmut Bauer, Lilo Dreyfeldt, Hubert Furtwängler, Werner Bergengrün, Josef Furtmeier, Fritz Leist, Günter Ammon, Fred Thieler und viele mehr.
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