Zwischenräume

Ich würde gerne ein bißchen mehr für den Kühlschrank einkaufen. Doch alleine der Umstand, zum Supermarkt zu kommen, erschwert dieses Vorhaben bereits gewaltig. Und gestern Abend wollte ich ein Buch lesen. Doch irgendwie hatte ich den Eindruck, daß es zu dunkel in meinem Arbeitszimmer war. Erleichtert legte ich das Buch auf die Seite und beschloß, statt zu lesen, eine neue Glühbirne zu kaufen. Selten hatte mich der Gedanke, eine neue Glühbirne zu kaufen, derartig beflügelt. So sehr, daß ich mit einem frischen Gefühl durch meine Wohnung schritt. Aus der Glühbirne wurde aber nix. Bis heute nicht, zu viele Zwischenräume: Da ist dieser Supermarkt, in dem ich wohl in einer Schlange ewig warten müßte. Dann die Straße, und überhaupt erst meine Schuhe! Schuhbänderknoten in gebückter Haltung! Vielleicht sogar ein Schuhband neu einfädeln, und den Schuhlöffel suchen, und alles anziehen! Das nur wegen der Glühbirne und letztlich wegen dem Buch, das ich lesen wollte. Außerdem will ich heute gar nicht lesen.

 

Auch schreiben wollte ich seit Langem wieder. Doch wie soll ich nur um mein ‘ich’ herum schreiben, damit das alles nicht so narzistisch wirkt? Geht das, geht das nicht? Geht das schon oder vielleicht kann ich es gar nicht? Ja, das wird es wohl sein! Oder ist es alles einfach zu blöde, das mit diesem ‘ich’? Genau, so muß es sein. Eigentlich tendiere ich dazu, daß das alles absolut schwachsinnig ist. Ich beschließe also, solche Gedanken als bescheuert abzutun, und wende mich sofort unproblematischeren Dingen zu. Denn dieser heutige Tag ist wieder einmal ein riesiger, nicht enden wollender Zwischenraum.

 

Ja, ja, heute wollte ich, ja genau ‘ich’, gerne  einmal alles so tun, wie es ganz natürlich aus mir herauskommt. Mutig und lustig dem Tag zeigen, was ich zu bieten habe. Ich und kein anderer. Wer sonst, verdammt noch mal, und wie sonst soll ich das sagen? Doch all diese Zwischenräume, die sich vor mir herschieben wie Geröll, kaum daß ich mich bewege, als wäre ich der Müllschiebewagen meines eigenen Lebens, diese unzähligen Ungemütlichkeiten und Widerstände, die sich spukartig überall auftun wie Aufklappschilder, wohin ich mich auch richte, sie alleine sind mir bereits ein wahrer Graus, wenn ich nur an sie denke. Ich placke mich mit ihnen ab wie in einem virtuellen Ringkampf mit mir selbst. Der Regen, die Kälte und die Distanz, die immer zwischen mir liegt und dem, was ich gerne wirklich will. Der Druck steigt, etwas zu tun. Endlich etwas zu tun. Etwas Sinnvolles. Oder auch etwas völlig Überflüssiges.  Wer flüstert mir eigentlich ständig all diesen Schwachsinn ein, an diesem Wochenendtag? Nein, ich drücke es nicht mehr weg, mein ‘ich’. Es ist doch da. Also, laß es doch da sein, du ich du, du! Ich bin mein eigener Zwischenraum mit diesem ‘ich’? Muß ich wirklich überhaupt etwas tun? Ich? Gibt es wirklich das, dieses eine dringend zu Tuende? Für mich? Jetzt? Irgendwas wenigstens, bei dem ich keine Zwischenräume betreten muß? Oder ist da am Ende gar nichts, was es zu tun gibt, und dann wären auch keine Zwischenräume mehr da. Fast erscheint es mir so, ganz fast.

 

Mein stetig vor sich hin malmender Gehirnkrampf schneidet mein Leben in Stücke. Er zerteilt es in Milliarden Zwischenräume, die es vermeintlich zu überwinden gilt. Sie alleine erwecken diese Illusion, daß es etwas zu tun gäbe. Distanz, Abstand, Niemandsland.  Sie erscheinen mir starr und leblos. Vielleicht kommt daher dieser phobische Widerstand gegen sie. Und vielleicht beginne ich deswegen beim Anblick dieser Zwischenräume immer gleich irgendeinen dieser Blödsinne zu tun. Doch wenn ich in sie ganz furchtlos und ohne Ressentiments hineingreife und sie betrete, verschwinden sie gleichermaßen. So wie sich der Nebel in dem Moment erin klein wenig zu verziehen scheint, in dem ich in ihm bin, so verwandeln sich die Zwischenräume in dem Moment in ein Paradies. Dann bin ich nicht mehr getrennt von ihnen. Ich bin sie, es gibt sie gar nicht.

Mehr gibt es schlichtweg nicht zu tun.

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