Lukas Lessing: Unklar! Wieso wird nicht dauernd Amok gelaufen in diesem so sorgfältig lackierten, brodelnden Miteinander?

Christian Seidel: Wegen dem Lack. Es gibt die Theorie, daß nicht die Irren die Verrückten sind, sondern wir selbst. So, wie Du die Klarlackgesellschaft beschreibst, sind die Menschen auf möglichst wenig Konflikt bedacht. Aber so geht das Gewinnen nicht. Sie versuchen deswegen jedwede Berührung zu vermeiden. Das funktioniert u.a. durch Vermeidung von Gefühlen, durch Vermeidung von Berührungen, durch Abschleifen von Kanten. Falls dieser Lack einmal abblättern sollte erscheint darunter ein schutzloses Wesen, das sich nicht damit auskennt, wie es mit all dem umgehen soll. Es rastet aus. In Amerika haben sie bereits ein “Natural Disorder Syndrom” definiert (Richard Louv). Das sind Menschen, vor allem Kinder, die ausflippen, wenn sie einen Baum oder ein frei herumlaufendes Tier sehen. Ich bin gespannt, wann das “Emotional Disorder Syndrom” als Begriff in unsere Krankenhäuser und Psychokliniken Einzug hält. Diese Krankheit würde Menschen definieren, die ohne Lack nicht mehr leben können und psychisch zu Grunde gehen, die vielleicht ohne Kontrolle durchdrehen oder depressiv werden, wenn sie sich mit einem Gefühl konfrontiert sehen. Zu dieser Unklarheit zählt auch die Frage, warum man nur in der Politik, nicht aber auch in den schönen Künsten, in auf Baustellen, im Fußball oder im Untertagebau Frauenquoten einführen soll? Unter den Top Ten der bestbezahltesten Maler der Welt ist keine einzige Frau. Ist das bereits Diskriminierung? Umgekehrt verstehe ich nicht, warum nicht in Parfümerien, Büglereien oder Nagelstudios die Männerquote eingeführt wird. Das würde dem Klarlack eine neue Note verleihen…


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