4. Tag: Der Arschloch – Effekt

Ich komme um knapp 7 Uhr früh vom Flughafen zurück in die Stadt, freue mich auf eine paar frische Mohnsemmeln. Ich schlage ich die Jacke hoch, steige aus dem Auto aus und gehe beim Bäcker rein. Die Verkäuferin stößt einen lauten Schrei aus und dreht sich zu mir herum: „Mein Gott haben Sie mich erschrocken!“ Es duftet nach frischem Gebäck und ich spüre den Appetit in meinem Mund. „Wir haben erst in zehn Minuten auf!“ Sie schaut mich an, als wolle ich den Laden überfallen, mit so einem fast bedrohlich wirkenden „und jetzt gehen Sie raus!“-Blick, den ich überhaupt nicht ertragen kann, so unausgeschlafen, wie ich bin. Tausend Fühler stellen sich in mir auf. Jetzt ist es passiert! Das war das Arschloch-Erlebnis! Wie soll ich jemandem gegenüber Respekt aufbringen, der mich so behandelt!? Dieser Blödsinn mit den Werten. Grimmig kehre ich auf dem Absatz um. „Dort gehe ich nie wieder hin!“, denke ich. Untertags werde ich mehrmals von dem Erlebnis erzählen. Dass mir die Verkäuferin den Morgen versaut hat. Dass sie mir das Frühstück vergällt hat. Dass ich da nie wieder rein gehe. Mit ihrem Schrei und ihren zehn Minuten. Diese frustierte Kuh! Aus Protest gegen diese Welt bin ich auch nicht mehr zu einem anderen Bäcker gegangen. Ich habe die Mohnsemmeln bestraft und keine mehr von ihnen gekauft an diesem Tag. Ein paar Scheiben Vollkornbrot waren die Nutznießer meiner wütenden Gunst, dieser grimmigen Rechthabewut, die in mir brodelte wie eine kleine Giftpfütze. Ich habe zum Arbeiten begonnen und den ganzen Tag nichts Gescheites zuwege gebracht. Als ich später über die gleichen, dreckigen Gehsteige lief zum Mittagstisch, habe ich gezielt Ausschau gehalten, nach einem Arschloch, das mir entgegenkommt, und an dem ich mich rächen kann, das mir nicht ausweicht, mich blöd anschaut, damit ich zurückrempeln kann, damit ich etwas böses sagen oder zumindest denken kann. Und abends habe ich im Taekwondo-Training einem Jungen gesagt, er solle sich nie etwas gefallen lassen in seinem Leben. Die Welt sei voller Arschlöcher, da müsse er immer genau differenzieren. Dann habe ich mein Gesicht im Spiegel gesehen. Ich bin selbst zum Arschloch geworden. Ich habe dem Jungen von meinem Tag erzählt und daß ich einfach schlecht drauf sei. Respekt? Der war schon um sechs Uhr früh aus meinen Poren heraus gedünstet. Den hatte ich den ganzen lieben langen Tag lang nicht einmal mehr vor mir selbst. Denn da müsste er glaube ich anfangen.



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