Aus einem aktuellen Essay, den ich anläßlich meines neuen Buches für die Zeitschrift Myself geschrieben habe
Kaum stand ich in Frauenkleidung da, war meine Existenz bedroht. Als hätte ich eine Sekte verlassen. Meine Männerfreunde wandten sich ab. Meine Beziehung stand auf dem Spiel.
„Ich habe einen Mann geheiratet, keine Frau!“
„Nur wegen der Kleidung? Ich bin ich doch derselbe Mensch!“
1: Weiblichkeit ist das Männertabu
Männer leben ein erstarrtes Rollenbild, war meine erste Erkenntnis. Dafür grenzen sie alles aus, was weiblich ist. Frauen personifizieren diese Weiblichkeit. Ergo werden sie von Männern oft wie Beiwerk ihrer Welt behandelt, bewertend und sachlich. Sich Einlassen ist für Männer schwer, viel zu weiblich wäre das. Nur das macht diese ominöse Spannung zwischen uns aus: Ja, wir wollen uns gegenseitig erreichen. Aber das männliche Rollenbild verbietet das. Seine Identität scheint eine Minusrechnung: Menschsein minus Weiblichsein ist Mannsein. So berühren wir uns innerhalb dieser Rollenwelt nie wirklich.
2: Frauen dürfen alles sein
Unter Frauen fühlte ich mich wie unter Menschen. Ihr Zusammenleben erschien mir ausgereifter. Plötzlich konnte ich mich fallen lassen, traurig, heiter und sensibel sein. Frauen dürfen sich sogar männlich geben, wenn sie wollen. Es war wie in einem Schlaraffenland der Sinne: Ob in Rock oder Hose, pink oder blau – immer galt ich als vollständige Frau. Gierig sog ich diese Vielfalt in mir auf, die ich als Mann nicht leben durfte. In meiner Frauenrolle war ich entspannter, vollständiger als Mensch. Als wäre ein Stück Torte in meinen Lebenskuchen zurückgeschoben worden. War das diese Weiblichkeit, die ich als Mann immer vermieden hatte?
3: Weiblichkeit ist ein Seelenvitamin
Obwohl wir Männer nicht die geringste Anleitung haben, die Saiten der Frauen anzuschlagen, tun wir so, als würden wir genau wissen, wie wir sie zum Klingen bringen können: Schmuck und Kleidung kaufen, Blumen schenken. Elegant zum Essen ausführen, Tür aufhalten, aus dem Mantel helfen, unaufdringlich aus der Speisekarte vorlesen. Intensiv und zärtlich den Sex gestalten. Mal abenteuerlich, mal ein Touch pervers, mal weich, mal wild. Frühstück ans Bett bringen. Und am Ende wundern wir uns, wenn ein anderer Ton erklingt. Ist ein Mensch, der diese Klaviatur beherrscht, ein „richtiger“ Mann?
Weiblichkeit ist doch nicht gleich Schönheit, Sensibilität oder Kreativität. Sie ist kein Klischee. Sie hat eher mit “Vollständigsein” zu tun. Aber sind sich auch die Frauen dessen bewusst? Zu oft hing ich mit meiner Aufmerksamkeit bei meiner Wirkung auf die Männer. Die wiederum hatten oft kein Benehmen, pflegten sich nicht, rochen schlecht. In Menschenansammlungen rempelten sie, während sich Frauen vorsichtig bewegten. Wie geduckte, degenerierte Wesen wirkten sie oft auf mich. Empathielose Einzelkämpfer. Gemeinsam waren sie alleine. Das Mannsein wirkte auf mich wie ein kollektives Zusammenreißen, emsig bestrebt, alles richtig zu machen, aber schnell kollabierend. Als fehlte ihnen ein wichtiges Seelenvitamin: Weiblichkeit. Wenn Frauen immer dieses alte Klischee bestätigen, wird kein neues Bild entstehen können. Eine Dosis Weiblichkeit täte Männern gut. Behandelt sie daher mehr wie Euch selbst, souveräner, wie Frauen.
4: Sex ist viel zu sprachlos
Ich gründete eine Damenrunde, um meine Eindrücke zu vergleichen. Wundersam: Allein die Veränderung meines geschlechtlichen Aussehens machte meine Beziehung zu den Frauen frei. Flirten war passè. Die absurde Spannung war verflogen, intergeschlechtliche Verständigungsakrobatik unnötig. Wie angenehm. Wir Freundinnen übten etwas, was mir neu war: Genderbefreites Reden: Endlich besprachen wir wirklich alles. Easy perlten Sex, Orgasmus, Kleider und Beziehung über unsere Lippen. Und verblüfft stellte ich fest, dass viele Frauen keine Ahnung haben, wo ein Mann seinen Orgasmus fühlt. Einige dachten, in der Eichel. Als wir uns mehr beschrieben, ahnten wir, dass wir vielleicht ganz ähnliche Orgasmen haben. Unvorstellbar, mit einem Mann so über Erotik zu sprechen.
Natürlich wurde ich zum Fremdgehen befragt: Ja, sagte ich, Männer wollen mit jeder Frau ins Bett. Und ja, Männer gehen fremd, ja, alle. Woher ich das wisse? Weil wir Männer darüber reden, es ist unser einziges Intimthema. Motto: „Das behältst du für dich!“ Aber ist das nicht zu kategorisch? Ja, aber wenn ich Ausnahmen einräume, fühlt sich jeder Mann wie diese Ausnahme.
5: Schattenseite des Paradieses
Ich erlebte uns Geschlechter in einer schmerzhaften Beziehung zueinander. Wie voneinander abgekoppelte Universen. Die Grenzwärter wurden von den Männern gestellt. Eine Spezies Mensch, die ihre Grenzen selbst zog. Oft fühlte ich mich deswegen belästigt. Schnell unterließ ich es als Frau, abends alleine auszugehen.
Einen entscheidenden Teil des Frauseins konnte ich nicht leben, sondern nur erahnen. Aber meine Freundinnen erzählten mir davon: Beim Lebenschenken wirkt ein Mann ein paar Sekunden mit. Eine Frau ist neun Monate bis ein Leben lang in der Pflicht. Hinzu kommen die vielen Umstände. Die Männer tun so, als könnten sie ihre damit verbundene Verantwortung “wählen”. Nein, ich hatte auch beim Anblick kinderwagenschiebender Männer nicht das Gefühl, dass das wirklich gewertschätzt wird. Im Gegenteil: Männer trimmen Frauen in ihre eigenen Regeln. Wer in ihrem Spiel, alleine die Welt managen zu wollen, mitwirken will, sollte Hosen und Hochgeschlossenes tragen. Vorbeugend. Dann behängen sie uns wieder wie Christbäume. Ja, Schönsein dürfen macht Freude. Aber nicht unter Zwang.
Ohne das Riesenbrumborium vorsintflutlicher Rollenklischees sind Frauen und Männer zweifelsfrei gleiche Menschen. Aber leider leben wir noch immer unter sehr verschiedenen Umständen.