Ich verweigere mich der Weihnachtsgans

Was wäre wohl, wenn die Menschheit nicht das Weihnachten und all diese anderen Feiern im Jahr erfunden hätte, nicht diese Form der Zeitunterteilung und die darin verhafteten , stereotypen Rituale unserer Kultur, in denen wir heillos verheddert sind? Was wäre wohl, wenn es all dies nicht gäbe:

 

Wie würden wir wohl feiern ohne Bier, Wein und Bratenduft?

Wenn es abends nicht diese Ausgeh-Rituale gäbe?

Wenn Liebe nicht mit Sex verbunden wäre oder umgekehrt?

Wenn zum Glück nicht zwangsläufig die Liebe gehören müsste?

Wenn Zusammenleben nicht gleich Paarsein bedeuten würde?

Was würden wir den ganzen Tag über tun, wenn es kein Jahr gäbe und der Tag nur aus hell- und dunkel bestünde?

 

Wenn Feiern nichts mit Alkohol oder ‚Mal-Loslassen‘ zu tun hätte, wenn niemals jemand Bier oder Wein erfunden hätte? Wie würden solche Feiern aussehen? Würden wir vielleicht frei tanzen und unsere Sinne weiter schwingen, als wir es jetzt tun?

 

Aber ist es nicht so – ein paar Beispiele zum aktuellen Feierzyklus:

Beim Feiern säuft man. Zum Fisch Weißwein, weil der Fisch weiß ist. Zum Fleisch Rotwein, weil das Blut rot ist. Generell zumeist Bier oder Wein. Und umso mehr, desto mehr Menschen feiersaufen. Man drängt und zwängt sich. Es gibt zumeist Bratwürste. Lange, kurze, dicke, dünne, fettige, käsige. Man frisst sie wegen dem Senf. Ganz moderne Menschen essen auch mal Crepes oder vegane Schnellpizzas. An Weihnachten das Glühwein-Business, mit extrem viel Zucker versetzt, Gewinnspanne wohl 1: 10.000.  

 

Schon im Vorwege steht einem der Bratenduft in der Nase. In manchen Metaphern wird der Gestank sogar romantisch verbrämt. Das Stimmengewirr in den Ohren übertönt die immer wieder aufkeimenden Lebens-Missgefühle.

 

So hangeln wir uns von Straßenfesten zu kulturartigen Sondersaufgelagen , von einem Feiertage-Zyklus zum nächsten. Ostern (gebratene Hasen), Pfingsten (auch gebratenes Fleisch oder Fisch mit viel viel Alkohol), bis zu Weihnachten (Gänse, Karpfen). Zwischendrin Kirchweih, Geburtstage (die allgemein als schlecht gefeiert gelten, wenn nicht extrem gesoffen wurde). Dann diese dutzende Samstage am Mittag, wo man dort frisst und hier trinkt. Und die für viele zur Depression tendierenden Sonntage (ein wenig Prosecco drauf). Oder die Fußball-Events auf der Straße, wo man nur als Gröhlender und Besoffener geduldet wird. Und nicht zuletzt die vielen Firmenparties, die man unbetrunken kaum ohne psychische Schäden übersteht.

 

Es ist doch fast so: Das Feiern besteht bei uns stereotyp aus Saufen und das viel und obendrein billig. Bratwürste, Buffets, Saufen. Bier. Wein.

 

Wenn wir was unternehmen, dann geht es in die Museen oder zum hilflosen Herum-Shoppen. Warum ‚hilflos‘? Weil wir während dieses Vorganges immer schmerzhaft bemerken: Wir haben bereits alles! So kaufen wir halt ein bisserl was. Was Kleines, für die Konsumwirtschaft als Unterstützung. Oder ganz viel, dann ist es die beste Entschuldigung, wenn das alles Geschenke sind. Die machen uns super gut fühlen. Ich schenke Dir, ich schenke Euch, ich schicke tausend irre Geschenk-Smilies und Infantil-Hab-mich-liebs herum und schon ist das Kaufen ein Supererlebnis gewesen, über das man sich mit gutem Gewissen beschweren kann: Das eigene Anliegen war gut („Gutes tun“), der Vorgang ein Horror („Nie mehr!“).

 

Zum Ausgleich hält unsere Natur her. 2-3 Stunden lang oder so, oft nach mehrstündiger Anfahrt, Streit zu Hause, ob mans nicht doch lieber lassen soll. Spaziergänge im Park im Kreis, dabei über Sorgen oder blöde Chatinhalte reden („wann dieser Terror nur endlich aufhört“), oder mit dem Moutainbike rauf und runterrasen. In jedem Fall: Danach saufen. Tatort schauen. Hektisch die Smsen und Emails für den Montag checken, ob da im Büro ein Psychotrauma auf einen wartet.

 

Das waren nur einige Fragmente über das Ritual-Gefängnis, in dem wir stecken.

 

Ist es nicht so, dass wir völlig festgefahren sind, in einer von unendlichen Möglichkeiten, wie wir alleine und kollektiv leben könnten? Und dass wir mit keinem Mukser versuchen, einmal etwas anderes auszuprobieren, ich meine etwas richtig Neues, vielleicht Besseres, Schöneres, Erfüllenderes?

 

Ich verweigere mich der Weihnachtsgans.

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