Die Männer – Minusquote (Original-Textwortlaut)

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Diese Plastik aus einem Museum in Philadelphia drückt, so finde ich, auf wundervolle Weise aus, worum es mir in meiner Arbeit geht.

Für das Berliner Architekturforum BKult.de habe ich vor Kurzem einen Essay geschrieben. Die Themenstellung war: “Braucht Architektur eine Frauenquote”. Hier nochmal der Wortlaut, da ich mehrfach danach gefragt wurde:

 

Ja natürlich Frauenquote unbedingt. Allein die Debatte darüber ist aber bereits diskriminierend. Die Frauenquote kann nur eine Not- bzw. Übergangslösung sein. Für die Entwicklung einer besseren und gerechteren Lösung bräuchten die Frauen viel mehr Raum. Ähnlich wie in der Architektur besteht der Umgang zwischen Männern und Frauen auch aus einer Raumaufteilung. Dieser Raum wird großteils von Männern besetzt. Sie wollen keinen Platz machen. Das zeigt das Hängen und Würgen der Quoten-Debatte.

 

Deswegen plädiere ich für eine Männer-Minus-Quote. Das mag vielleicht utopisch, verstiegen, absurd oder unrealistisch klingen. Aber die wirkliche Gerechtigkeit müsste so aussehen: Die Männer-Minusquote beinhaltet eine Zurückstufung der Job-Rechte der Männer auf den Umfang ihres gesellschaftlichen Anteils in unserer Gesellschaft. Demnach hätten Männer nicht mehr Anrecht als auf z.B. 50% aller Jobs. Die anderen 50% stünden den Frauen zu. Sicherlich würden einige Frauen ausfallen (weil sie keine Lust haben, wegen Schwangerschaften oder anderer Gründe). Das zu entscheiden, sollte aber den Frauen überlassen sein. Sie selbst sollten bestimmen, welchen Teil ihrer Job-Quote sie jedes Jahr den Männern zurückgeben. Das könnte über eine politisch unabhängige Fraueninstitution geregelt werden, welche den gesellschaftlichen Status der Frauen und ihrer Interessen im Berufsleben im Auge hat. Auf diese Weise würden die Frauen nicht in bestimmte Jobs gedrückt werden. Sie könnten sie selbst wählen. Sie müssten sich nicht an männliche Verhaltensweisen, Klischees, Stereotype oder Looks anpassen, um in der Männerwelt zu bestehen, ohne dass sie es selbst wirklich wollen. Sie würden nicht hämisch ‚Quoten-Frau’ genannt werden und vielleicht ähnlich unernst genommen werden, wie es oft Betriebsratsmitgliedern ergeht. Die Frauen wären frei.

 

Im Lichte einer solchen Regelung wäre die Würde der arbeitenden Frauen vor den üblichen süffisanten Männerressentiments sicherer. Auch der Status der Mütter könnte sich erholen: Zwar würde die Mutterschaft vielleicht einer der Hauptgründe sein, warum Frauen von den ihnen zustehenden Jobs wieder Anteile an die Männer zurückgeben würden. Doch sie würden das aus eigenen Stücken tun. Und nicht weil ein verkrustetes Ressentiment das befiehlt. Die Mutterschaft alleine wäre kein Grund mehr dafür, zwangsläufig von einem potentiellen Arbeitgeber für die zweite Wahl gehalten zu werden.

Und die Männer hätten endlich mehr Zeit, sich zu entspannen, was sie dringend nötig haben. Durch eine solche Regelung würde der Überdruck aus ihrem Mannsein genommen werden. Die Männerrolle hätte eine Chance, sich von ihrem Arbeits-, Erfolgs- und Gewinnimage zu lösen, aus den veralteten Konturen auszubrechen. Es wäre nicht mehr nur der Mann, der arbeitet und in seiner Männerrolle der Forderung gerecht werden muss, ‚eine Familie zu ernähren‘. Es wären Männer und Frauen gleichermaßen.

 

Aber die derzeit (und seit Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden) zementierte Männerrolle verfügt leider über ein Modul, welches für Männer diese Selbsterkenntnis und Selbstkritik verhindert: Männer dürfen nicht weiblich sein, weil sie sonst im Lichte ihrer Stereotypen keine Männer mehr sind. Sich aber diesen Zacken aus der Männerkrone zu brechen, angeblich eigenhändig die Welt gerade halten zu müssen und alles und jedes selbst managen zu müssen, das wäre vielleicht die größte Hürde für einen Mann auf dem Weg dorthin. Denn was sonst hätte er dann noch Bedeutungsvolles zu tun in seinem Leben? Das Zusammenleben genießen wäre eine Möglichkeit. Sich einzufügen in das Leben mit den Frauen, statt es zu dominieren, sich auch als ein teilweise weibliches Wesen anzuerkennen, wäre eine Möglichkeit. Er könnte lernen, dieses Zusammenleben zu genießen und das Zusammengepfercht sein zu hassen. Vielleicht würde sogar die Architektur und unsere Kultur ganz neue Lebensbilder dazu entwickeln. Eine Welt, in der ein Mann auch einmal mitten an einem Werktag ganz langsam, nicht geschäftig schnell, in kurzen Hosen durch die Stadt spazieren darf, ohne Angst um seinen guten Ruf zu haben. Er könnte mal einen Termin verschieben oder ihn eine Frau übernehmen lassen, die darauf Lust hat. Vielleicht bewältigt sie diesen Termin anders. Vielleicht kommt ein anderes Ergebnis heraus. Oder auch nicht. Doch dass die Männer dafür von sich aus Raum geben, das ist eine Utopie. Daher dieser Entwurf.

http://www.bkult.de/de_DE/1030.braucht_architektur_eine_frauenquote/1055.christiane_seidel_.pro

Christiane Seidel (siehe auch ihre Facebook-Seite: https://www.facebook.com/christiane.seidel.18  ) ist die weibliche Identität des Münchner Autors Christian Seidel, der seit knapp zwei Jahren in der Rolle einer Frau lebt. Sein neues Buch ‘Die Frau in mir’ erscheint im Januar 2014 im Heyne-Verlag. Zu Christian Seidel existiert zudem ein Beitrag in Wikipedia.

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