Leseprobe zu “Gewinnen ohne zu Kämpfen” Lesung morgen, 29. März 19 Uhr, Literaturhaus München

(Leseprobe:) “…ich tat mein Möglichstes, was mir wieder, wie alles in meinem bisherigen Leben, nie genug vorkommen sollte. Ein paar Minuten später ließ ich mich wieder ins Gras fallen. Ich steckte mir die Zigarre an und freute mich über mein Leben wie noch nie. Bis ich meine zitternde Hand sah und sich der Schrecken in meiner Brust breit machte wie ein Schwelbrand, den kein Wasser dieser Welt mehr zu löschen vermag. Es war der Moment, als ich beschloss, mein Leben zu verändern,. Seit diesem Tag versuche ich nur noch meiner neuen Stimme zu folgen. Sie sagte ich wisse alles. Ihr Auftrag lautet, mich nie mehr unter Druck zu setzen.

Mit dieser Erinnerung in meinem Herzen nehme ich im Sang-Gaesa Kloster an diesem Morgen den zarten Duft von Blumen wahr. Es ist die älteste Tempelanlage der Buddhisten auf dieser fernostasiatischen Halbinsel. Und die darum liegende Natur strahlt etwas aus, als würde sie mitmeditieren. Das Aroma der wilden Pflanzen erinnert mich an den Weinberg, in welchem ich nach zwanzig Jahren Leben auf der Überholspur gelandet war. Das vage Schimmern von Licht in den Blütenblättern signalisiert jetzt das Aufsteigen der Morgensonne. Endlich fühle ich mich ein klein wenig erleichtert. Nach den Taekwondo – Trainings mit Chy-Eun in den letzten Tagen spüre ich meine Muskeln und Knochen auf eine wohlige Weise und meine neue Stimme sagt mir, daß mein Weg nie ein Ende haben würde.

In einer Pagode schlägt ein Mönch eine überdimensional große Glocke. Die dunklen Schatten um mich herum verwandeln sich in Pflanzen, in Landschaften, so wunderschön, wie ich sie noch nie gesehen habe. Langsam trauen sich auch die Bäume der Laubwälder in ihren rotgoldenen Herbstfarben zu schimmern. Sie erinnern mich an meine europäische Heimat. Unsere Wälder. Und wie in einem Dejavu wähne ich mich plötzlich zu Hause. In der Ferne auf der anderen Seite des Tales erkenne ich einen Weg, der sich wie ein knorriger Ast in Richtung Himmel windet. Doch immer wieder höre ich auch die Worte des Meisters in mir. Ich erinnere mich noch einmal, wie mir die junge, koreanische Kampfgefährtin im ‚Dojang’, dem Taekwondo – Trainingssaal der alten Universität bei Seoul, wieder auf die Beine geholfen hatte. Ein Gefühl von Verbundenheit und Gleichheit hatte nach meinem Herz gegriffen, als ihre Hand die meine umschlossen und sie mir auf die Beine geholfen hatte. Sie war bereits mit Zwanzig eine Meisterin des Kampfes gewesen. Und ich hatte gerade erst einmal vor ein paar Jahren angefangen, so etwas zu üben. In einem Anflug von Selbstüberschätzung hatte ich alter Mann mir eingebildet, gegen die hübsche koreanische Meisterin Chy-Eun gewinnen zu können. Als ich schwer nach Luft schnappend wieder auf den Beinen stand, tauchte plötzlich der Meister neben mir auf. Mit seiner unendlichen Wärme sagte er: „Es gibt eine Möglichkeit, auf einem Weg zu gehen, ohne zu stolpern. Es dreht sich um Genauigkeit! Du hast Erfahrungen, Du weißt, wie es geht. Du weißt alles, Du musst die Welt nicht neu erfinden, wozu? Wende einfach an, was Du selbst weißt!“ (…)

Diese Sätze, dieses ‚Du weißt, wie es geht’ und die Worte ‚Weg gehen’, ‚Erfahrungen’ und ‚Genauigkeit’ hallen in mir in diesen Morgenstunden auf der Holzbank nach, wie der schwingende Klang einer Stimmgabel. Wie einfach, wie banal, wie normal. Ja! Es ist eigentlich alles ganz einfach. Oder doch nicht? Sofort, nachdem der Meister diesen einfachen Satz ausgesprochen hatte, mußte ich mein aufbrausendes Lachen unterdrücken, wie so oft, wenn er ein Training unterbrochen hatte, wenn wir an Fauststößen gefeilt oder den berühmten Schritt nach vorne geübt hatten, den zur Seite oder den nach hinten. Wenn er sich dann vor einen hilflosen Schüler stellte und ihn mit strenger Stimme aufforderte: „Gib mir die Hand!“

Und wenn der Übende, der allzu oft ich selbst war, dastand wie der Ochs vorm Berg, und schließlich kleinlaut fragte: „Wie bitte, ich verstehe nicht!? Hand? Welche Hand? “

„Wie machst Du es, wenn Du jemandem die Hand schüttelst, hm!? So?“

Dann imitierte der Meister die umständlich-kurvige Armbewegung, die der Schüler und allzu oft ich selbst, falsch praktiziert hatte. Obwohl es oft absichtlich komisch aussieht, was der Meister uns vorführt, lachen wir Schüler nur, wenn wir uns dabei nicht über den Betroffenen lustig machen. Denn zu den obersten Gesetzen des Taekwondo zählen ‚Achtsamkeit’ und ‚Respekt’. Das passt nicht zusammen mit der Schadenhäme, mit der man sich als Beobachtender so leicht auf Kosten anderer über die eigene Unsicherheit hinwegrettet und losprustet.

„Komm, mach schon, reiche mir die Hand, so, als würdest Du mich begrüßen!“

Der Schüler kam der Aufforderung nach. Er machte automatisch einen Schritt, während er die Hand reichte, weil er etwas zu weit entfernt stand. Der Meister erläuterte daraufhin, dass die Bewegung eines Fauststoß und eines dabei möglicherweise vorzunehmenden Schrittes nicht viel anders funktioniere:

„Nichts im Taekwondo ist anders, als im Leben. Aber Dein Leben ist wahrscheinlich zu kompliziert. Sonst würdest Du nicht so komplizierte Bewegungen machen. Wähle immer die natürlichste und die einfachste Bewegungsform. Diese Regel sollst Du auch in Deinem Leben beherzigen. Du musst alles einfacher machen! Kümmere Dich endlich um Dich selbst! “

 

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