Meditation, Zen und AntiCoaching

Da ich in letzter Zeit oft danach gefragt worden bin, hier ein paar Worte über meine Arbeit:

 

Ich unterstütze Menschen und Institutionen, ihre eigenen Werte zu finden und mit Leben anzufüllen. Dabei benutze ich keine aufgesetzten Beratungstechniken, sondern das individuelle Wissen, welches bereits vorhanden ist.

 

Es gibt so viele Techniken, wie den Menschen angeblich geholfen werden kann, wie Sand am Meer – oder wie Tropfen im Wasser.

Im traditionellen Sprachgebrauch wurden diese Techniken ursprünglich “Therapien” genannt. Heute sind sie begrifflich verwässert und heißen oft “Coaching”.

Ein Mensch, dem es zu peinlich ist, eine Therapie zu machen, sagt, er geht zu seinem ‘Coach’. Dabei ist das, worum es geht, letztlich dasselbe. ‘Coaching’ ist eine verwaschene Begriffsinflation, die irreführt. Sie impliziert ein modisches Image. Jemand, der etwas auf sich hält und vorwärtskommen will, beschäftigt einen Coach. Das gilt auch für Firmen oder politische Institutionen. Im politischen Bereich werden beispielsweise besonders gerne in Wahlkampfzeiten Coaches mit öffentlicher Wirkung beschäftigt, um bestimmte Trendthemen zu besetzen, die von den Politikern selbst nur mit Risiko vertreten werden können. Die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dieses System bei ihren Wahlkämpfen mit ihren ‘Expertenteams’ meisterlich durchgeführt (Kirchhoff & Co). Der Begriff “Coaching” impliziert ein Verständis etwa wie im Sport (woher der Begriff kommt). Oder in der Wirtschaft (wo er nun neuen Fuß gefasst hat). Als würde man es mit Hilfe eines Trainers zu einem besseren Ergebnis bringen können. Und wenn das Ergebnis schwach ist, feuert man – statt bei sich selbst hinzusehen – den Trainer. In einer klar umrissenen Disziplin wie dem Sport mag das funktionierten. In unberechenbareren Feldern wie der Wirtschaft oder der Politik verkommt die Selbsthilfe ‘Coaching’ so allerdings zum Alibi für das eigene Unvermögen. Im Leben selbst mit all seinen hochkomplexen Zusammenhängen funktioniert das aber gar nicht.

 

Ergebnisse

 

Im Leben dreht es sich nicht um Ergebnisse. Das Leben kann im nächsten Moment vorbei sein. Was hilft also ein ‘Ergebnis’? Umgekehrt kann es viel länger dauern, als das Ergebnis eintrifft. Was geschieht also nach dem ‘Ergebnis’? Ein Ergebnis zu erzielen ist ein Phänomen des Lernens, was wir in unserer Gesellschaft hier und da benötigen, um in der Gemeinschaft mitwirken zu können. Wie wir aber heutzutage mit ‘Ergebnissen’ umgehen und uns auf sie fokussieren, gleicht einem lebensfeindlichen Exzess. Ergebnisse können keine Lebensinhalte sein. Ihre Bedeutung reicht auch nicht nur im entferntesten Sinne an unser Leben und dessen Sinn hin. Sicherlich ist es von größter Bedeutung, sich Ziele zu setzen. Doch darf sich das eigene Handeln und die ihm zugrunde liegende Intention nicht darin erschöpfen, lediglich dieses Ziel zu erreichen. Eine Schärfung des Bewusstseins für das, was geschieht, während man den Weg zum Ziel begeht und was ist, wenn man das Ziel erreicht hat, ist von entscheidender Bedeutung.

 

Das Image “Coaching” übersieht, daß sich ein jeder letztlich selbst helfen muß, selbst wenn er den besten Coach hat oder die intensivste Therapie macht. Deswegen spreche ich in meiner Arbeit von “AntiCoaching”.

 

Mit “AntiCoaching” bezeichne ich meine Überzeugung, daß niemandem von außen zu helfen ist. Helfen kann sich ein Mensch oder eine Institution letztlich nur selbst. Dazu braucht es zunächst den Willen und den Glauben, warum und wieso es wohin gehen soll. Dieser Vorgang erfordert größte Konsequenz. Man kann sich ihm letztlich nur in aller Einsamkeit stellen. Jeder für sich allein. Außerhalb jedes noch so wohltuend und stylisch anmutenden Coachingraumes, angenehmer Meditationsatmosphäre und wohltuenden Images eines philosophischen Überbaus einer Hilfetechnik.

 

Wertorientierte Zielbestimmung

 

Der Prozeß der Selbstfindung hat mit den eigenen Werten zu tun. Das trifft für Menschen im Privatleben zu, für Firmen, für Politiker und für gesellschaftliche und soziale Prozeße. Es ist daher von großer Bedeutung, die eigenen Werte zunächst einmal ganz individuell zu entdecken, in Erinnerung zu rufen, oder vor dem eigenen Bewusstsein auszuformulieren. Dies ist für einzelne Personen natürlich einfacher, als für komplexe, soziale Strukturen. Aus diesem Grund habe ich mein Buch “Gewinnen ohne zu Kämpfen” geschrieben. Denn nicht nur die Selbstfindung und die Erneuerung eines einzelnen Menschen fängt nur bei ihm selbst an und geschieht nur durch ihn selbst. Auch die Selbstfindung und die Erneuerung einer ganzen Gesellschaft kann und muß ausschließlich durch ihre einzelnen Menschen erfolgen. Hierzu zählen aber natürlich ihre Leitfiguren. Aufgrund ihrer weitverbreiteten Hybris, alles zu wissen und managen zu können, und ihrter durch die Globalisierung erzielten Macht, ist ein Prozeß der Wertbestimmung besonders dringend bei den Firmen und Konzernen der Wirtschaft vonnöten. Eine Firma ist nichts ohne den einzelnen Menschen, der in ihr arbeitet. Es ist ein antiquiertes Verständnis, zu glauben, daß der Mensch für die Firma arbeitet. Es ist umgekehrt: Die Firma arbeitet für die Menschen. Da hilft am Ende auch die tollste Rendite nichts, denn ohne ihre Menschen wird sie verschwinden. Jeder weiß das, oder?

 

Wertorientiertierung ist ein langfristiger Prozeß

 

Das Wissen eines jeden von uns ist immens. Schauen wir die großen Katastrophenszenarien um uns herum an, so liegt auf der Hand, warum es dazu gekommen ist. Und es liegt auf der Hand, was getan werden muß. Doch aufgrund einer abstrusen Form existentieller Angst tut es keiner. Kein Lehrer kann uns so viel sagen, wie wir letztlich bereits selbst wissen, es sei denn es dreht sich um anzulernende Dinge, wie etwa Sprachen oder die Wissenschaften. Was das Leben und unser Zusammenleben anbelangt, weiß ein jeder genug und muß es mit sich selbst ausmachen, wohin er gehen will. Das gilt für das Privatleben, aber auch ganz besonders für Institutionen wirtschaftlicher und politischer, kultureller und sportlicher Art. Deswegen glaube ich nicht an den sinnvollen Effekt von Ratingagenturen, Management- oder Politikberatungskonzepten, die makulaturhaft lediglich im virtuellen Imagebereich dieses und jenes zurechtzusetzen versuchen, für Talkshowauftritte Dialogkonzepte schreiben, medienwirksame Pressekampagnen entwerfen oder imageprägende Wahlslogans für Politker konzipieren. All diese Beratungen habe ich in großem Umfang in meinem Leben kennengelernt und selbst gemacht. Auf Grund meiner Erfahrung distanziere ich mich von solchen Konzepten. Denn sie sind von einem kurzfristigen und oft zerstörerischen Erfolgstrieb beherrscht. Vor allen Dingen in der Politik und der Wirtschaft. Die Dynamik unserer globalisierten Welt benötigt dagegen weitsichtigere und wertorientiertere Leitlinien. Aber auch im privaten Leben eines Menschen kann nicht allen Ernstes angenommen werden, daß eine Entwicklung, die in oft viele Jahre oder meistens sogar Jahrzehnte gearbeitet hat, mit ein paar Coaching-Sitzungen beendet werden kann.

 

‘Erfolg’ ist mehr als ‘Gewinnen’

 

Der Begriff “Erfolg” nimmt in unserer marktwirtschaftlichen Gesellschaft eine geradezu monströs massive Bedeutung ein. Er benötigt dringend eine neue, inhaltliche Definition, die unserem Wissen und unserer heutigen, weitentwickelten Gesellschaft gerecht wird. Es wäre doch vorzeitlich, wenn sich mit unserem Wissen Erfolg weiterhin im Streben nach Gewinn und Ruhm erschöpfen würde. Erfolg muß sich daran orientieren, daß wir zusammenleben und nicht an der Konkurrenz, die uns alle einsam macht. So wie wir in der Natur (Öko) oder im Ernährungsbereich (Bio) ein neues Bewusstsein geprägt haben, müssten wir das naheliegenderweise eigentlich längst auch im Umgang miteinander tun. Es fehlt aber allein das Wort dafür. Und das ist bezeichnend dafür, wohin wir schauen: nicht zu uns selbst.

 

Das Zusammenleben ist etwas, worum wir nicht herumkommen. Wir sind quasi dazu verdammt. Im Zusammenleben tun sich gleichermaßen unsere größten Probleme, Neurosen, Kämpfe und Widerstände auf. Im Zusammenleben liegen aber auch unsere größten Chancen.

 

Meditation und Zen

 

Ich gehe davon aus, daß jeder Mensch alles weiß und alles kann, was für ihn nötig ist. Dies ist meine Philosophie aus eigener Erfahrung. Keine Technik der Welt kann das entdecken, sondern nur ein jeder für sich selbst. Hier setzt meine Arbeit an. Als Hilfsmittel setze ich unter anderen maßgeblich auf ein ganz traditionelles: auf Meditation. Meditation ist eine Methode, wie man die  Zwischenräume zwischen den vielen ‘Beschäftigtseins’ wachhalten und wiedererwecken kann. In ihnen diesen Zwischenräumen liegt die Quelle für die Veränderung. Hier befindet sich die gigantische und wunderbare Welt unserer Freiheit. Meditation hilft, dafür ein Bewusstsein herzustellen. Wir müssen unsere Weisheit nicht neu erfinden. Es reicht zunächst, in aller Ruhe aus dem zu schöpfen, was wir ohnehin bereits wissen.

 

Ich arbeite an Entwicklungen, die diesem Maßstab folgen.

 

München, 15. August 2010

Christian Seidel

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