Ausnahmsweise Töten dürfen: Über den Bruch eines Tabus

Zum Tode Osama Bin Ladens 3

 

Manch einer mag sich wundern, warum sich so viele Menschen über die vermuteten Umstände um die Tötung Osama Bin Ladens echauffieren. Doch wenn man die tröpfelnden Bekanntgaben der wahren oder vermuteten Ereignisse zu dem Thema in dieser Woche Revue passieren läßt, müßte es verständlich werden. Zunächst wurde bekanntgegeben dass der Terrorchef „während eines Schußwechsels in seiner Villa durch einen Kopfschuß“ getötet worden sei (ZDF heute). Er hätte sich „vehement gewehrt“ (ARD-Tagesschau). Fast unmittelbar danach ließ das Weisse Haus verlautbaren, sein Körper wäre auf einem Kriegsschiff „verbrannt“ worden und auf „hoher See“ nach muslimischem Brauch bestattet“ worden. Einen Tag später gibt Obamas Sprecher im Weissen Haus bekannt, Bin Laden hätte sich nicht gewehrt und wäre auch nicht bewaffnet gewesen. Seine 15-jährige Tochter, die das Schauspiel mit eigenen Augen miterlebt hätte, würde beteuern, er wäre erst erschossen worden, nachdem er verhaftet worden sei. Währenddessen tanzen auf amerikanischen Straßen die Menschen und schwenken Fahnen. Es hagelt Glückwunschmeldungen von Regierungschefs an die USA, deren Wortlaute oft nicht auf eine sorgsame Abwägung des gesagten schließen lassen. Darunter u.a. die Stellungnahme von Angela Merkel, welche die Tötung Bin Ladens in einer Pressekonferenz am 2. Mai 2011 als „Erfolg“ bezeichnete und explizit meinte (Quelle: Mitschrift dieser Pressekonferenz): „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten.“ Egal, wie man zu der offenbar standrechtlich erfolgten Tötung des Terrorchefs stehen mag, der Ereigniskomplex offenbart ein Reizthema ohne gleichen. Das Thema wird aus meiner Wahrnehmung mit folgendem Motto emotional diskutiert: „Jetzt steht es fest. Sie haben es zugegeben, dass sie sowas tun. Und andere Staatschefs finden das auch noch gut.“ Was haben sie denn getan, was vorher nicht eindeutig feststand? In Guantanamo haben immer nur die anderen darüber geschrieben und gemutmaßt. In Abu Garaib waren es ein paar Soldaten. Zwar wußte Bush angeblich davon. Aber nur angeblich. Außerdem waren es ja ‚einzelne Soldaten‘. Die Foltergefängnisse der CIA – in Polen, Rumänien, in Kabul und an vielen anderen Orten? Alles Gerüchte. Auch ähnliche angebliche Vorkommnisse in anderen Ländern werden zumeist nur gemutmaßt und wenig ausreichend untermauert. Die Krisenkommunikation der betroffenen Regierungen war in praktisch allen Fällen immer dazu in der Lage, Informationen über solch aufkommende Tötungs- oder Folterskandale zu vertuschen, zu nivellieren und auszusitzen. Im Fall Bin Ladens ist etwas völlig Neues geschehen: Die Regierung des mächtigsten Landes der Welt gibt der Welt selbst bekannt, einen offenbar wehrlosen Terrorchef per Kopfschuß umgebracht zu haben. Und andere Regierungschefs tönen dem Klang gemäß: „Finden wir gut, wir gratulieren!“ In dieser Zentrifuge hat sich auch bei mir ein tiefsitzendes Unwohlsein bemerkbar gemacht, ein beinahe unerträgliches Gefühl, in dem auch Fragen entstehen, wie: Bedeutet das, dass das ausnahmsweise Töten ohne rechtsstaatlichen Prozeß und ohne Notwehr nun quasi dem Gutdünken von Regierungsbeamten obliegt? Ich würde mir zu diesem Thema gerade von politischer Seite eine besonnenere und weitsichtigere Kommunikationsweise wünschen, welche solche Zweifel und Fragen erst gar nicht aufkommen läßt.

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