Die Welt in den Klauen Gaddafis

Kann es sein, daß die Welt von einem mörderischen Diktator derartig abhängig ist, daß der Tod von tausenden Menschen in Kauf genommen wird? Wo bleiben scharfe Sanktionen, was ist mit den Drohgebärden, mit welchen unsere Politiker und Regierungen sonst so schnell um sich werfen? Wir stehen tief in der Schuld des libyschen Volkes. Langsam kommen immer mehr wirtschaftliche Verflechtungen mit dem Terrorregime ans Tageslicht. Der Mann, der ehemals über Lockerbie einen Jumbojet zum Absturz bringen ließ, in dem hunderte den Tod fanden, hatte es irgendwann geschafft, wieder von den großen Regierungen empfangen zu werden. Daß er bei so gut wie allen öffentlichen Erscheinungen das Bild eines unzurechnungsfähigen Verrückten abgab, machte keinem etwas aus. Der gefährliche Exzentriker eroberte dafür die roten Teppiche unseres Medienboulevards. Seitenweise füllte er die Magazine mit seinen skurillen Beduinenzelt-Szenarien und den gekauften Prostituierten-Harems, die er entweder mitbrachte oder – wie im Falle eines Besuches bei Silvio Berlusconi – sogar von der italienischen Regierung als Gastgeschenk beigesteuert bekam. Das Treiben seiner entarteten Söhne in Wien, Genf oder München lockerte die Leute-Kolumnen und Gesellschaftsspalten auf. Daß im Umfeld dieser Söhne immer wieder Menschen zu Tode kamen, durch immer wieder andere, eigenartige Unfälle, blieb fast unbeachtet. In den letzten Jahren sind kaum investigative Berichte über die Entwicklung der großen Gefahr dieses Klans veröffentlicht worden. Unsere Politiker üben sich wieder einmal in ihren Routinegesten: Bestürzt und grenzenlos überascht, entsetzt. Und sonst? Über das heraufziehende, entsetzliche Geschehen in Tripolis scheinen auch die Geheimdienste wieder einmal keine Ahnung gehabt zu haben. Immerhin ist allerdings der Münchner Polizeipräsident immer wieder mit dem in München lebenden Gaddafi-Sohn essen gegangen, um dem Sohn des lybischen Massenmörders mit sanften Worten etwas vom bayerischen Gesetz zu erzählen. Irgendjemand muß doch bemerkt haben, daß es sich hier um höchstgradig gefährliche Schwerverbrecher handelte, die von der Loge des Wiener Opernball aus aufs Tanzparkett schauten, die in Münchner Universitäten – sicherlich fußnotenlos – zu promovieren versuchten. Aber nein. Vermutlich sollte verhindert werden, daß Lybien ähnlich schmerzhafte Sanktionen gegen Bayern oder Deutschland erlässt, wie es im Fall der Schweiz der Fall war, wo derselbe Gaddafi – Sohn verhaftet wurde, weil er seine Bediensteten geschlagen hatte. Wenn man nur ein bißchen hinein recherchiert in diese Kloake aus Milliarden, Mord und Erpressung, so wird einem schnell Angst und Bange. Man stößt auf Sklaverei, Saddismus, Erpressung, Folter und Quälerei, auf das Leben eines gesetzlosen Verbrecherclans, der in unseren High Societies ein- und ausgeht. Recherchiert man nur ein wenig, so wird man gewarnt: Das ist lebensgefährlich! Wage Dich da nicht heran! Die bringen Dich um. – Die einen werden mit Mord bedroht und die politischen Systeme mit Öl-Entzug und der daran hängenden wirtschaftlichen Katastrophe. Dieser Staatschef hat sein Land und die Welt über vierzig Jahre lang, über v i e r z i g Jahre lang, terrorisiert, manipuliert und in Verwicklungen gebracht, die sich jetzt immer deutlicher zeigen: Das Volk wird hingemetzelt. Europa und die Welt schaut zu. Es wird wieder einmal mit staatstragenden und wirkungslosen Statements um sich geworfen. Den Italienern schlottern die Knie wegen der bevorstehenden Flüchtlingswelle. Der deutsche Innenminister de Maiziere reagiert mit einem fast schon zynisch wirkenden Kommentar: “Noch gibt es ja keine Flüchtlingswelle…”. Planlos, konzeplos, schnell hier ein Feuer löschen, schnell dort. Und notfalls mit Gaddafi weitermachen. Die Option muß man sich ja offen halten. Denn wenn er genügend Menschen abgeschlachtet hat, von denen, die auf Grund unseres jahrzehntelangen Opportunismus ihm gegenüber nie eine Chance hatten, wenn er vielleicht tatsächlich genügend Menschen umbringt, also den vom übergelaufenen libyschen UN-Botschafter angekündigten Genozid umsetzt, dann könnte es ja sein, daß er mangels gegnerischer Masse seine Herrschaft zurückgewinnt – und wir ihn plötzlich wieder brauchen. Das Öl, die Ölpreise müssen wieder runter, wir brauchen viel, viel Öl! Allein der Münchner Flughafen wäre lahmgelegt, bekäme er Gaddafis Öl nicht mehr: Angeblich kommt die Hälfte des Kerosins vom Ursprung her aus Gaddafis Quellen. Dann sind die Toten bald vergessen. Wie die von Lockerbie, die Millionen Toten von Ruanda, die von Srebreniza, die von Tiananmen, die von Teheran und die vielen, von denen wir nichts wissen. Wir sind den Menschen in Lybien mehr schuldig, als ein paar halbgare Worte. Eine militärische Eingriffsdrohung, Flugverbot über Libyen und scharfe Sanktionen könnten der Opposition auf ihrem schweren letzten Weg entscheidend helfen. Jaja, das bedarf eines UN-Mandats. Doch warum hatte niemand vorausgedacht und rechtzeitiger ein UN-Mandat besorgt? Wir könnten damit unserer Schuld gerecht werden und vor allem verhüten, daß das Ganze wieder von vorne los geht.

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