Die Liebe ist kein Christbaum

250px-Rose_Liebe

„Wenn du einmal ein Mann bist, wirst du eine Frau lieben. Die Frau deines Lebens. Lass dir Zeit, diese eine Frau zu finden. Irgendwo wartet sie auf dich. Du wirst sie sofort erkennen. Wegen der Liebe. Wenn es dann soweit ist, wirst du wissen, was du zu tun hast. Das wirst du spüren, wenn du ein richtiger Mann bist. Weißt du, was ein richtiger Mann ist? Na, das wirst du schon noch merken. In jedem Fall erst einmal dort, wo du anders bist als die Frauen.“

„Ja und?“, erwiderte ich als kleiner Junge störrisch.

„Aber, bitte, sei behutsam! Du musst wirklich sehr vorsichtig sein. Frauen sind viel verletzlicher als Männer. An ihnen ist alles weich. Du wirst in ihren Augen lesen können, ob du sie glücklich gemacht hast. Vielleicht wird sie dir ein Geschenk der Liebe dafür machen. Ein Kind. – Hast du noch irgendwelche Fragen?“

„Nö.“

„Und vergiss nicht: Du musst dir wirklich viel Zeit lassen damit. Warte also, bis du ein richtiger Mann bist. Mein Gott, wenn du nur alles richtig machst, mein Junge!“

Immer lief es darauf hinaus: Warten müssen auf die einzige Frau, die man lieben sollte. Ganz oft gings mir mit der Liebe wie dem Fischer mit dem Fisch. Hatte er ihn mal an der Angel, haute er auf ihn drauf, und aus wars mit dem Fisch.

Mein Leben hatte dieses Einzigsein in der Liebe irgendwann aus mir herausgewaschen. Dafür gab es zu viele Frauen, die mir in meinem Leben immer wieder als die Richtigen erschienen. Ich hatte gar nicht groß suchen müssen. Zeit ließ ich mir auch nicht besonders viel dabei. Die Frauen öffneten sich mir einfach, sie gaben sich mir hin, sagten mir, dass sie mich liebten. Dann schwor ich gleich doppelt so fest, dass auch ich sie liebte. Was ich konnte, tat ich für sie. Ich begehrte sie und schlief mit ihnen. So gut wie möglich. Doch wie sollte ich in dem unerfahrenen Alter feststellen, wie gut das wirklich war? Als Mann maß man die Qualität der Dinge ja nicht mit dem Gefühl. Also versuchte ich bei jeder dieser Einzigen in den Augen zu lesen:

„Alles okay? War es schön? Habe ich alles richtig gemacht?“

In der Schule hatten sie mir Latein und Mathematik beigebracht. Ich hatte gelernt, dass am Nordpol Eskimos lebten und dass vor zweitausend Jahren ein Mensch namens Christus gelebt haben soll, der jedes Jahr an Weihnachten neu geboren wird. Nichts aber war mir jemals über die Liebe beigebracht worden, wie die geboren wird, und vergeht. Wie Jungen mit Mädchen umgehen sollten. Oder was für Worte man dabei benutzen musste.

Die ursprüngliche Romantik einer Begegnung mit dem anderen Geschlecht hatte sich aus dem Abenteuer des Unbekannten genährt. Ihre Flamme hatte mit jeder gemeinsamen Erfahrung höher gelodert. Doch dann begannen uns die Klischees zu beherrschen.

Die von der glücklichen Beziehung. Was ich dafür tun müsste. Der ganze Ballast, der daran hing, war kaum zu ertragen. Es wurde auch absehbar, dass sich die Gespräche zu wiederholen begannen. Schließlich stagnierten. Aber holla! Sollte man in einer guten Liebesbeziehung nicht auch immer gute Gespräche führen? Sollte in einer Lebensverbindung zwischen zwei einzigen Menschen nicht immer auch alles einzigartig und unverwechselbar sein?

Eine solche Beziehung wollte ich endlich einmal hinkriegen. Das hieß: Ständig zuvorkommend sein. Rechtzeitig und oft genug Blumen schenken. Sich die Frau etwas kosten lassen. Immer wieder mal einen Ring kaufen. Zum Essen ausführen. Selbst kochen. Abwechslung bieten. Gentleman sein. Den aufgeschlossenen Mann spielen. Und ganz wichtig: Ihr genug Raum lassen. Möglichst intensiv und zärtlich den Sex gestalten. Mal oft, mal fast zu wenig. Bedürfnisse wachsen lassen. Mal abenteuerlich, mal ein Touch pervers dazwischen, natürlich ganz charmant, mal weicher, mal wilder. Immer wieder kuscheln. Also bloß nicht gleich aufstehen und etwas anderes machen! Frühstück ans Bett bringen. Morgens herzlich sein. Später am Tag in der Gesprächsführung intelligenter werden. Irgendwann ganz unversehens Streit hineinwürzen. Nach dem Motto: „Reibung erzeugt Wärme.“ Und auch mal gar nichts sagen, so dass sie fragen muss: „Ist alles in Ordnung?“ Daraufhin wohlwollend lächeln, nur nicht zu viel preisgeben: „Ja, sicher, mein Schatz, es ist alles okay.“ Das ist das Maximum.

Ist ein Mensch, der diese Klaviatur beherrscht, ein „richtiger“ Mann? Oder eine „richtige Frau“? Es wurde mir sowieso immer unklarer, was das überhaupt sein sollte.

Ich lernte, in Beziehungen zu leben und zu überleben. Ganz entscheidend im Umgang mit den Frauen war immer öfter: immer auf der Hut sein. Dass sich nur ja kein Circulus vitiosus bildete! Dieser Teufelskreis von Aktion und Reaktion, in dem ich mich mit meinen Lebensabschnittsgefährtinnen so oft verfangen hatte. In welchem der eine Partner zum Schwächeren und der andere zum Stärkeren wurde. Meistens verursachten unbedachte Handlungen ein derart fatales Ungleichgewicht. Das ging mir vor allen Dingen in meinen ersten Beziehungen so. Plötzlich wurde der eine zum unabhängigeren und der andere zum abhängigeren Partner. Doch wer war der Abhängigere? Waren das vielleicht die Männer? Warum sonst lehnen sie alles Weibliche an sich so sehr ab?

Hatten die emotionalen Verflechtungen in meinen Beziehungen ihr Gleichgewicht verloren, gab es kein Entrinnen ohne eine Trennung. Also arbeitete ich dagegen mit allen nur erdenklichen Prophylaxen an. Abwechslung bieten, beispielsweise. Neues entwickeln. All das natürlich ohne Druck und Zwang. Ganz locker! Nicht zu sehr drängen. Nicht zu viel wollen. Nicht zu viel klammern. Den anderen lassen. Die Zügel aber nicht zu locker lassen! Hie und da eine Dosis Rarmachen. Gleichzeitig immer da sein. Stark und bestimmt, so wie ich als Mann zu sein habe. Und unbedingt diese Schwäche und diese Gefühle zeigen, die ein Mann heute haben darf, nein, soll, nein, muss! Das ganze Programm immer wieder mit einem Funken Verletzlichkeit würzen. Das Weiche, das die Frauen bei starken Männern brauchen.

Die Zurschaustellung männlicher Zerbrechlichkeit nahm manchmal abstruse Formen an: Einmal fühlte ich mich als Mann wirklich nicht stark. Mir war aus irgendeinem diffusen Grund wehmütig zumute, wollte eigentlich nur alle viere von mir strecken und bedient und gestreichelt werden. Absichtlich ließ ich meine Stimme so weich klingen, wie sie gerade war. Ich ließ es sein, diese bestimmte Männerstärke auf sie zu legen wie auf ein belegtes Brot. Mit dieser sensiblen Stimme sagte ich zu meiner Partnerin: „Ich fühle mich gerade so schwach.“

Ich wartete. Es kam nichts. Ich schmierte noch etwas mehr Butter auf mein Stimmenbrot: „Hast du gehört? Ich fühle mich schwach und verletzlich.“

„Ja, ich hab’s gehört. Und was willst du mir damit sagen?“

Sofort schaltete ich wieder um. Schnell wieder den Männerton anstimmen. Schwachsein kommt doch nicht so gut an, dachte ich. Ein Mann muss durchgehend wie ein gut belegtes Wurstbrot klingen. So dass die Partnerin sich keine Sorgen machen muss.

Und nicht zu vergessen: Man muss als Mann allesverstehend sein. Auch eine Dosis Alleswissen kann nie schaden. Doch heutzutage besser in einer modifizierten, abgespeckten Variante, denn Frauen stehen bevorzugt auf Suchertypen. Man sollte nur kurz in die eigene Wissenstüte greifen müssen, um bei allem Suchen schnell ein paar rettende Antworten auf drängende Fragen hervorzaubern zu können. Denn es muss schnell gehen. Und Achtung! Unbedingt ein gewisses Rätseln zulassen! Der Umgang mit Wissen in einer Beziehung muss also ökonomisch gehalten werden. Er besteht aus einer Balance aus Nichtwissen, Wissen wollen und tatsächlichem Wissen. Sonst weiß plötzlich der eine mehr als der andere, und schon haben wir wieder den Salat mit dem Ungleichgewicht. Ganz wichtig war in allen meinen Beziehungen daher immer das Zuhören. Das funktioniert am Verlässlichsten. Und außerdem finden die Frauen zuhörende Männer besonders erotisch. Sagten sie oft. Das ist nicht so schwer. Nur ein wenig zusammenreißen, die Klappe halten. Und dann: Das Zen in der Kunst des interessierten Schauens zelebrieren, des Nickens, dabei Lächelns, des Eingehens. Es funktioniert hundertprozentig. Doch irgendwann muss man damit aufhören. Spätestens, wenn sie sagt: „Weißt du, was ich ganz toll finde? Dass du so wunderbar zuhören kannst!“ Dann sollte schon mal ein charmanter Satz folgen.

Die Liebe ist kein Prüfstand. Sie hat kein Grundgesetz, in dem steht, wie man sich zu verhalten hat. Sie ist ein wildes Gefühl. Ein mutierendes, loderndes, wechselndes, stets anderes Phänomen. Ist sie überhaupt nur ein einziges Gefühl? Oder nimmt man beim Lieben alle möglichen Empfindungen wahr, etwa Begierde, Lust oder Lebendigkeit? Vielleicht ist es angemessener, die Liebe wie ein gigantisches Gefäß zu sehen, das Leben einfasst. Doch auch dieses Bild ist der Liebe nicht würdig. Es reicht für ihre Dimension nicht aus.

Besonders die Erwartungen an die Liebe haben mich immer erdrückt. Wie sie angeblich zu handhaben sei. So habe ich es beispielsweise erlebt, dass ich mehrere Frauen gleichzeitig liebte. Das durfte aber nicht sein. Galt es doch als verwerflich, mehr als eine Frau gleichzeitig zu lieben. Ich aber empfand im selben Moment für jede Frau eine andere Form von Liebe. Jede war einzigartig (wenn es das denn gab). Das hielten die Frauen nicht aus, und ich deswegen auch nicht. Etwas später entdeckte ich, dass ich zum Lieben überhaupt keinen Partner brauchte. Während eines Spaziergangs am Meer hatte ich hinaus aufs blaue Wasser geschaut. Die Sonnenstrahlen reflektierten und brannten sich in mein Gesicht ein. Ich nahm das Kräuseln der Wellen wahr, als würde es sich in mir drin fortsetzen. Es war exakt dasselbe Gefühl wie Verliebtsein. Ohne jede Scheu war ich in jenem Moment gewesen. Beinahe hätte ich dem Meer und den Sonnenstrahlen gesagt: „Ich liebe euch!“ Doch was hätten die schon erwidern sollen?„Ich dich auch?“

Die Liebe ist bar jeder Erwartung. Vielleicht ist sie ein Gefäß ohne Rand. Jeder Versuch, sie einzufangen, einzugrenzen oder mit Worten zu kategorisieren, wäre ein Versuch, sie zu bändigen. Sie wäre sofort weg, hätte sich schneller selbst befreit, als man mit den Augen zwinkern kann.

Was ich in vielen Beziehungen lebte, hatte nach einer Weile nicht mehr viel mit Liebe zu tun. Das waren automatisierte Rituale geworden. Was Kirche und Erziehung so in mich hineintrompetet hatten. Immer wieder versuchte ich, die Liebe zu zähmen. Ihr meine Ansichten aufzuzwingen. Genauso tat ich es bei meinen Partnerinnen – ohne es zu wollen, ohne es zu bemerken.

Dann begann ich auszubrechen. Ich ging fremd. Ich trennte mich. Ich versuchte mir die Liebe zu erkaufen. Ich wollte gar keine Partnerin mehr und auch nicht mehr lieben. Mir war es zu viel geworden mit der Liebe. Ich hatte meine Geliebten mit Beziehungsworten geschmückt und Geschenken überhäuft wie bei einem Christbaum, bei dem nie der Glitzer entfernt wird, obwohl Weihnachten längst vorbei war, obwohl die Nadeln längst abgefallen waren und diese  Liebe nur noch ein Wort war, eines mit einem endlos langen, lästigen Schwanz an Bedeutungen, Normen, Verpflichtungen, Erwartungen, Pläne, Wünsche.

Vielleicht ein Kind kriegen? Kinder sollen ein gutes Beziehungsöl sein. Bis sie da sind. Dann sieht die Sache anders aus. Im Mittelpunkt steht nicht mehr der Mann, sondern das Kind. Und der Baum ist längst nicht mehr sichtbar. Keine Kerze brennt mehr. Nur noch Ansprüche.

 Schließlich richtete ich meine Zweifel gegen mich selbst: War ich selbst vielleicht für keine Frau die wirkliche, die wahre Liebe gewesen, so eine, die alles übersteht? Hatte ich mir nicht genug Zeit genommen? Für die Zärtlichkeit? Hatte ich Wünsche falsch von Lippen abgelesen? Oder es haperte daran, dass ich einfach kein „richtiger Mann“ war.

Einmal in einer Nacht hatte ich wieder einen dieser konkreten Träume. Aus dem Universum sprach eine junge Mädchenstimme zu mir. Sie klang wie die Stimme meiner inneren Frau, nur viel jünger. 

„Du musst keine ‚einzigen‘ Frauen mehr finden“, sagte sie zu mir, „hör endlich auf damit. Du musst aber auch kein richtiger Mann sein. Es gibt gar einen richtigen Mann. Nur Männermenschen und Frauenmenschen. Du hast dir alles nur eingebildet. Versuche, das Glimmen nicht mehr in den Augen anderer zu finden. Suche es in dir selbst. Das Glimmen bist du selbst.“    

 

(aus DIE FRAU IN MIR / Heyne Verlag)

 

 

VorherigerNächster