Leichenabende – diese Kultur des Tötens

PENTAX ImageHeute Abend mal wieder so eine Art Hochleistungs-Tatort. Mit “Blutfontänen im Stil von Tarantino” (Spiegel) soll er “vermutlich der beste Tatort des Jahres” sein.

Wegen der Blutfontänen? Oder wegen der „47 Leichen, die seinen (Ulrich Tukurs) Weg säumen“ (Augsburger Allgemeine)? Ah! Tarantino hat jetzt Blutfontänen salonfähig gemacht.

 

Der pseudo-feuilletonische PR-Trubel um solche „Filme“ verbrämt das, worum es bei ihnen wirklich geht: Um eine Fernsehkultur, deren Kernthema die Ermordung, die Folter, die Abschlachtung und der Tod von Menschen ist. Unter dem Alibi der Verbrechensverhinderung werden ununterbrochen Morde, Tötungen und Prügeleien gezeigt bzw. thematisiert. Ich habe mir im Hinblick auf diesen bevorstehenden Tatort die vergangene Woche einmal auferlegt, jeden Abend fernzusehen. Was läuft denn da sonst so, an den anderen Tagen, fragte ich mich: Kein Vorabend ohne einen Polizei- und Kriminalfilm mit erschossenen und erstochenen Menschen, verwesenden Leichen. Keine Nachrichtensendung ohne Todesnews. ISIS-Tote, Ukraine-Tote, Mord-Tote, Ebola-Tote, Kultur-Tote. Und kein Hauptabend, an welchem das Todesspiel filmisch nicht noch mehr auf die Spitze getrieben wird. Den i-Punkt setzen dann die Schweden mit ihren Mordfilmen und deren coolen, fahndenden Agenten, die von schicken Loftbüros aus mit Handys recherchieren.

 

Filmisch? Es sind ja eigentlich keine Filme mehr, diese billigen Nullachtfuffzig – Strickmuster deutschen Fernsehschrotts, die man bereits in der ersten Zapp-Sekunde an ihren immer gleichen, grottenschlechten Schauspielern erkennt (ihr Krimislang klingt oft so entsetzlich draufgedrückt möchter-gern-hollywood sonor), sowie an den stereotypen Ausleuchtungen. „Schaut wie großes Kino aus, dieses Licht, findst du nicht auch?“, stelle ich mir oft vor, wie es der Kameramann am Set bei der einzigen diesbezüglichen Einstellung (damit der Film ‘wertig’ aussieht) wohl zu seinem Regisseur gesagt haben muss. Ist ja auch verständlich, denn irgendwie muss man sich den Job ja schön reden, für den man Jahre lang Film studiert hat, von Godard, Cassavetes, Antonioni geschwärmt haben mag, und in dem man jetzt nur diese Junkfilme drehen darf. Darf? Wenn beim letzten Mal die Quote gestimmt hat. Dafür ist das Morden wichtig.

 

‚Blutige Bildschirmtapeten’ könnte man das allabendliche Grauenflimmern auch nennen. Filme aber sind das nicht. Auch nicht der am heutigen Abend. Für mich nicht. Auch nicht, wenn uns für diesen ‚Jahrhundert-Tatort’ schon im voraus eingebläut wird, dass er großes Kino sein soll. Weil er so wahnsinnig viele Leichen drin hat. Und weil das Blut ‘spritzt’. Weil er so irre brutal ist und man vermutlich manches nicht richtig verstehen kann in dem Film, weswegen das facebook erbeben wird, weil alle drüber reden müssen und sagen werden: Mann war das ein toller Tatort, ja das ist großes Kino.

 

Blut jpg

Dieses Foto zeigt nicht etwa einen Moment aus dem Tatort-Film, sondern aus dem Leben. Es ist ein Teil des herausgespritzten Blutes eines erschossenen Maidan-Demonstranten im Februar in Kiew.

Wen wundert es noch, dass im Lichte dieser Riesenwerbung für das Töten von Menschen weltweit die Kriege und Mordorgien Exzesse feiern, dass unzählige junge Menschen, angegeilt von diesen Crime-Images, gerne zu Waffen greifen und Krieg so lange cool finden, bis sie selbst, in Stücke zerfetzt, wie menschlicher Müll, irgendwo auf dem Asphalt herum liegen.

Wer einmal das Blut so richtig aus einem von Kugeln durchsiebten Menschen heraus rinnen gesehen hat, der will, das verspreche ich, so etwas nie wieder sehen und unterstützen. Auch nicht filmisch, als Western verbrämt, und auch nicht, wenn Ulrich Tukur drin mitspielt, und egal, wie gut und wie hollywoodaffin oder tarantino-like der Film gemacht sein mag. Wenn das so ist, dann geht ihm genau deswegen die individuelle, künstlerische Identität ab. Und damit jeglicher Superlativ, ausser ein nachgeäffter.

 

Ich will diese Erfahrung des rinnenden Blutes und des herausfließenden Lebens wirklich keinem beobachtenden und schon gar nicht betroffenen Menschen empfehlen. Man muss dieses Problem ohne Erfahrung erkennnen. Durch den eigenen Instinkt vielleicht, durch das Gefühl. Oder das Mitgefühl? Wie wäre es damit, anstatt diesem Gegeifer.

 

An dem Punkt stellt sich die Frage, warum andere Themen unseres Lebens, die schönen nämlich, wie Liebe, wie Humor, wie Freude, Leidenschaft und Glück, nur so wenig im gebührenbezahlten TV stattfinden – also ich meine ohne Leichen drin?

Mit Sicherheit stecken wir eher im Schmerz fest, als dass wir ‘in ihm geboren’ sind, wie der Tatort heisst. Die Frage ist nur, welcher Schmerz das ist. Vielleicht der Schmerz, dass all diese schönen Dinge auf der Strecke bleiben.

 

Christian Seidel

 

 

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