Guttenberg-Theater: Strassenproteste auch bald bei uns?

Ah, jetzt zitieren sie die Werte. Ganz modern! Rund um den zu Guttenberg-Skandal rankt sich plötzlich eine Debatte um Ehrlichkeit, Redlichkeit und Vorbildfunktion. Geht man vom Klischee dieses Wertebildes aus, muß der Verteidigungsminister zurücktreten. Von einem Politiker will man nicht, daß er lügt. Man will nicht, daß er eine Doktorarbeit fälscht, egal wie sehr es selbstverschuldet oder nicht selobstverschuldet ist. Doch zu Guttenberg tritt nicht zurück. In seiner Rede gestern hatte er die widrigen Situationen in seinem Privatleben aufgeführt: Ehe, Kinder, zu Hause, Doktorarbeit, Politikerstress. Als ich ihn so reden hörte, wurde mir mulmig zumute: Wenn er schon seine Doktorarbeit bei all diesen familiären Widrigkeiten nicht auf die Reihe kriegt: Was ist dann mit seiner Aufgabe als Politiker? Er beichtet viertelt, dann halb, dann dreiviertelt. Gestern nannte er vier unauthorisierte Textstellen. Heute sind es sechs. Bis gestern hätte er die Chance gehabt, seinen Schlamasseltisch so blitzblank zu machen, daß keine gravierenden Zweifel übrigbleiben. Doch ich habe immer noch nicht den Eindruck, daß er sich zu hundert Prozent gezeigt hat. Und die anderen? Die Jäger? Was ist ihr Anliegen? Sie packen die Chance beim Schopf und versuchen, den größten Sympathieträger der deutschen Politik stürzen, um im Superwahljahr selbst an die Regierung zu kommen. Die dieser Hetzjagd zu Grunde liegende Motivation ist genauso unredlich, wie das nicht aufhörende Herumgedruckse des Beschuldigten und das, was er getan hat. Hier wird eine Affaire gekocht, die in Relation zu den bestürzenden Entwicklungen im Weltgeschehen und den dringend zu lösenden Problemen in einem furchterregend ungleichgewichtigen Verhältnis steht. Was soll man tun? Soll er zurücktreten? Soll er gestürzt werden? Soll er weitermachen und Schwamm drüber? Auch die Motivation der Regierungskoalition, ihn zu stützen, wurzelt einzig und allein im Interesse der anstehenden Wahlen und der Entwicklung der Parteipopularität. Das Interesse unseres Landes und seiner Bürger ist es aber, daß sich unsere Politiker um die Lösung der großen Probleme kümmern. Daran sollte die Motivation ausgerichtet sein. Die Motivation aller Verantwortungsträger. In Libyen sterben die Menschen durch die Hand eines wichtigen Geschäftspartners unseres Landes. In diese Verquickung liegt unsere tiefe Verantwortung gegenüber dem Libyschen Volk haben. Statt dessen drückt sich die EU wie in all den vorangegangenen Krisen um wirkungsvolle Sanktionen und ein rechtzeitiges Eingreifen und Handeln. Tausende demonstrieren in Italien gegen Berlusconi. Auch in Griechenland flammen wieder wütende Proteste auf. Vielleicht wird bald auch bei uns auf den Strassen protestiert: Gegen unsere politische Regierungselite, die sich lieber in Skandalen verzettelt, statt zu handeln. Gegen den Filz der Parteien. Gegen Politiker, die ihre Kinder und Familiensituationen zitieren, um sich aus einem Vergehen herauszureden, gegen diese Egoisten, die nur eines im Sinne haben: Ihre Macht, ihre Popularität und wie man am trickreichsten die nächsten Wahlen gewinnt. Weit weg von Gaddafi & Co sind diese Leute so gesehen nicht. Vielleicht leidet deswegen die Popularität zu Guttenbergs kaum. Die Menschen sind die Haarspalterei einer oberflächlich – und vielleicht veraltet – geführten Wertedebatte leid. In den arabischen Ländern greift das Volk den Machthabern ins Handwerk. Vielleicht haben auch bei uns viele Menschen die Nase voll von diesem Hundegekläffe. Vielleicht müssen wir wirklich wieder auf die Strasse gehen und fordern, daß die dringenden Probleme angegangen werden. Manchmal sind Kleinigkeiten der Auslöser. So etwas wir ein Doktortitel zum Beispiel.

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