Roman Lyndov lacht

 Hier ist die unglaubliche Geschichte des Roman Lyndov:

 

Ja, Roman Lyndov, dieser junge Typ Anfang 20, er war immer einer der aufgewachtesten Menschen, die ich überhaupt je kennengelernt hatte. So ein wunderbarer, hochintelligenter, witziger und menschenliebender Charakter. Sein Tatendrang hatte offenbar nirgendwo Grenzen gekannt. In seiner Freizeit durchschwamm er den ukrainischen Fluss Njepr hunderte Meter weit, auch im Herbst, in Eiseskälte.

Und natürlich stand er am Maidan bei den Protestkundgebungen gegen die Korruption der Regierung an vorderster Front, in diesem klirrend kalten Winter, als es in Kiew um die Freiheit der Ukraine ging, und als die Regierung dachte, wegen der Kälte würden die Demonstranten bald verschwinden, was sie aber nicht taten, und die Regierung daher ihre Strategie änderte: Statt Kälte benutzte sie nun Feuer.

Roman Lyndov hielt auf dem Maidan-Platz durch. Zögern war nie sein Stil gewesen. Er war immer voller Zivilcourage, voller Engagement, voller Idealismus und Geisteswitz. Bis Regierungseinheiten eine Granate in die Menge warfen. Sie traf ihn selbst.
An diesem 18. Februar 2014 wurde der junge Ukrainer Roman Lyndov „angesprengt“, so heißt es im ärztlichen Befundbericht des BWZK Koblenz. Dorthin wurde er im Rahmen eines Spezialprogrammes der Deutschen Bundesregierung gebracht.

Bei diesem barbarischen Anschlag auf die Zivilcourage eines jungen Menschen verbrannten 25 Prozent von Romans Körperoberfläche im 1. Bis 3. Grad. Das ist aber nur ein kleiner Teil seiner Verletzungen. Der medizinische Befundberricht liest sich wie ein verbaler Feuerlauf, den man sich kaum zu Ende lesen traut, weil es undenkbar erscheint, dass ein Mensch so etwas überlebt.

In den ersten Wochen, als Roman auf der ‚Verbrennungsstation‘ des Bundeswehrzentralkrankenhauses in Koblenz lag, fürchteten sich viele vor ihm. Es war diese gigantische Spannweite zwischen Leben und Tod, die sein Zustand bis tief in die Seele fühlbar symbolisierte. Sie flöste uns allen tiefe Ehrfurcht und Respekt ein. Da war dieses Bündel Fleisch. Es hieß Roman. Wir sagten ‚Roma‘. Wir fragten: „Wie geht es Roma?“ Und meistens gab es auf diese Frage keine Antwort. Dann wurden wir still, hatten Tränen in den Augen. Wir konnten ihm nicht helfen.

Die vielen jungen, ukrainischen Frauen aus Deutschland, sie konnten nicht wie sonst auch, ihre Suppen bringen, so wie sie die anderen Patienten zu unterstützen versuchten. Die männlichen Helfer, sie konnten sich nicht neben ihn setzen, und ihn im Gespräch motivieren. Roman war zu dieser Zeit ein verkohlter Körper, über den eine weiße Decke gezogen war, aus dem zwei entsetzte Augen blickten, und der schrie. Tagelang, wochenlang. Sein Zwillingsbruder Artem war Tag und Nacht bei ihm. Doch auch für ihn war das Schlimmste, dass er außer durch seine schiere Präsenz kaum etwas tun zu können.

Wer etwas tun konnte, das waren die Verbrennungsspezialisten des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz um Privatdozent Dr. Erwin Kollig. Dabei ist ganz besonders auch das sich bis an die letzte körperliche Grenze aufopfernde Pflegepersonal zu denken. Sie alle kämpften wochenlang, oft Tag und Nacht für diesen wunderbaren Menschen. Stück für Stück kamen sie voran in ihrem Lauf durch dieses Feuer zwischen Leben und Tod. Immer wieder transplantierten die Ärzte, erneuerten die Verbände, in unzähligen, oft mehrmals täglichen Operationen. Bis der Tag kam, an dem Roman zu schreien aufhörte. Er war durch sein Feuer gelaufen. Er war wieder bei uns.

Auch Roman Lyndov ist einer derjenigen, die weder durch Gewehrkugeln, noch durch Granat-Sprengsätze umzubringen sind. Sein Überlebenskampf hat Roman Lyndov zu einem ewigen Mensch gemacht. Er ist das Wunder Mensch. Wenn ich heute in seine Augen sehe, spüre ich, dass dieser Mensch Roman Lyndov ein liebender, fühlender, zärtlicher, harter, intellektueller, vielfältig fähiger Mensch ist. Einer, der nicht mehr schreien muss, weil er das nicht mehr braucht. Er darf wieder lachen. Und das tut er unentwegt!

Mit vielen seiner im Schweregrad kaum steigerbaren Verletzungen wird Roman Lyndov sein Leben lang zu tun haben. Dennoch wird er wieder ein den Umständen entsprechendes, weitgehend normales Leben führen können. Das bereitet er nun vor. Gestern habe ich ihn getroffen, als er in einer Laube hinter dem Krankenhaus saß (er darf noch lange nicht in die Sonne gehen) und ein Buch las. Er will jetzt seine Reha machen (für die wir dringend einen Platz suchen!), Deutsch lernen, sein Englisch verbessern. Und schon plant er wieder, durch den Njepr zu durchschwimmen, überlegt sich, wie er das anstellen soll, in Anbetracht seiner neuen Situation.

Als ich Roma gestern fragte, was er denn jetzt am Liebsten sofort tun würde, meinte er mit diesem Strahlen im Gesicht: „Ich will nach Hause, sofort!“

 

Roman Lyndov ist nicht mehr umzubringen. Er ist ein Mensch, durch den man Glauben lernt. Ans Leben.

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