Wimpernschlag-Zeiten

Gehen die Zeiten, die wir so schön finden, nicht wie Wimpernschläge, so schnell, vorbei? Freie Abende oder Minuten, Wochenenden oder der Blick nach draussen in den Himmel? Die restlichen Zeiten versuche ich oft ganz schnell fertig zu kriegen, durchzuarbeiten, mich zu disziplinieren, herumzukriegen, abzuleben.

Ich war gestern schockiert, als ich es mir zusammengerechnet hatte, wie viel von der Zeit jeden Tag ich eigentlich gar nicht so haben will, wie sie ist. Wieviel Zeit ich zu überspringen oder zu vermeiden versuche. Unangenehme Zeit-Zwischenräume, die ich plötzlich für wertlos erkläre. Es sind diese Wasserfallzeiten, die einfach so durchrauschen, und bei denen ich mich wundere, wo sie plötzlich geblieben sind:

 

Totgeschlagene Zeit

 

Wartezeiten, Verkehrsstaus, den Weg dahin oder dorthin, der nervt und weswegen ich dann nicht hingehe. Dort wäre ich gern, aber auf dem Weg dorthin nicht. Zusammengerechnet addieren sich diese Zeiten auf zwei bis drei Stunden pro Tag! Ein Jahr besteht demnach aus ca. 1055 unliebsamen Stunden bzw. 45 Tagen, die wir nicht haben wollen. Eineinhalb Monate! Auf 40 Jahre eines Lebens hochgerechnet sind das 1825 Stunden. Das heißt, daß das Leben eines Menschen als Erwachsener in den 40 Jahren zwischen seinem 20sten und 60sten Lebensjahr fünf Jahre enthält, die er tot schlägt. Die er für überflüssig, minderwertig oder unangenehm hält und die er deswegen zu vermeiden, oder sonstwie zu überbrücken oder nicht wahrzunehmen versucht. Mit Stress, Eile, Tempo, Sprüche und Zynismen klopfen, rauchen, trinken, fernsehen, das Handy zücken oder ins das zeitlose Internet eintauchen.

 

Sorgen-Sortiment

Manchmal wirkte es in meinem Leben auf mich fast so, als könnte ich mit der Geschwindigkeit meines Lebens gar nicht mitkommen. Dann hatte ich Gas gegeben, weil ich Angst hatte, daß mir etwas davonläuft. Was das war, weiß ich auch nicht. Es hatte zumindest keine Beine oder Räder, was mir da scheinbar abhanden zu kommen drohte. Früher war es noch ein Projekt, das ich deswegen draufgesetzt habe. Noch ein Termin wurde reingedrückt, obwohl er vielleicht gar nicht nötig war. Noch ein Telefonat geführt, das es eigentlich nicht brauchte. Nur um meiner Freiheit willen und um es mir wieder zu zeigen, wie sehr ich tun und lassen kann, was ich will.

 

Und wenn es das alles nicht mehr gab, lag in meiner Seele immer ein gut sortiertes Sortiment an Sorgen bereit, mit denen ich – wenns daussen nichts mehr zu tun gab – meine schöne, offene, freie und wunderbar leere Zeit in mir drinnen zusorgen konnte, entsorgen wie Zeitmüll. Die Aufgabe von solchen Ersatzbeschäftigungen war  immer, diesen wunderbaren Wimpernschlagmoment eines solchen Zeitzwischenraumes zu überdecken. Den Moment, der das Leben ist.

 

Wir drücken auf die Zeit-Tube in beständiger Hoffnung, daß aus ihr unendliche Massen an Zeit quellen. Immer mehr Zeit. Wir drücken drauf, als würde unsere Lebens-Tube nie leer werden. Dabei machen wir genau das Gegenteil von dem, wonach wir uns eigentlich sehnen.

 

Dabei wissen wir, daß es absolut unmöglich, Lebenszeit zu vermeiden. Sie findet statt, ob man will oder nicht will.

 

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