Etwas völlig Anderes

Es funktioniert wieder mal nicht so, wie ich will. Und diese Worte jetzt, allein diese Worte schon, die schreibe ich mit Müdigkeit, was ich mir wirklich anders vorgestellt habe. Schreiben, das war es, was ich wollte, sonst Nichts! Endlich wieder ins Schreiben reinkommen. Ich wollte mich hinsetzen und losschreiben. Schon vor ein paar Wochen. Vor Tagen. Dann habe ich mir vorgenommen: Heute an diesem Samstag schreibe ich endlich wieder. Es gibt ja so viel, was ich schon wieder schreiben will.

 

Ich bin also in aller Herrgottsfrüh aufgestanden. Aber nicht weil es mich so sehr zum Schreiben gedrängt hätte und ich vor lauter Schreiblust aus dem Bett hochgefahren wäre. Nein. Das war ja das Problem, der Grund war ein ganz blöder. Der banalste Grund wohl, warum man früher aus dem Bett aufsteht, als man will, und deswegen will ich eigentlich auch nicht davon erzählen. Als ich also auf meinen Beinen stand, mir eine Kanne Tee kochte und zum Fenster hinaussah, dachte ich mir: Was für ein schöner Tag! Die ersten Sonnenstrahlen, in der Ferne der Horizont. Die Baumwipfel erschienen mir in dem morgendlichen Halblicht wie sich hin- und herbeugende Geister. Ich verfolgte dieses Beugen, bis ich es nicht mehr sah, weil es sich im immer gleißenderen Sonnenlicht auflöste und weil ich plötzlich an mein Buch dachte, in dem ich so viel übers Verbeugen geschrieben hatte.

 

Instinktiv beugte sich mein Oberkörper nach unten. Ich versuchte, mit den Fingerspitzen bis zu den Zehen zu kommen. Obwohl ich in der letzten Zeit nur wenig trainiert habe, konnte ich meine Handflächen mit Leichtigkeit auf den Boden legen. Vielleicht bringt all die Gymnastik gar nichts, dachte ich leicht angenervt. Ich will doch seit Jahren den Spagat hinkriegen. Aber trotz emsiger Bemühung dehnen sich meine Glieder nur minimal weiter. Und eigentlich wollte ich mich ja Verbeugen!? Daraus ist aber eine Art Dehnübung geworden, eine von diesen komischen Bewegungen, zu denen ich mich morgens oft gezwungen fühle, nur weil in mir Drinnen irgendetwas meint: In der Früh dehnt man sich!

 

Und so ging das Theater den ganzen Tag über weiter. Statt zu schreiben marschierte ich los, um San Daniele – Schinken zu kaufen. Mein Gaumen trieb mich durch die Stadt wie einen Süchtigen ohne Disziplin. Ich setzte mich in ein Cafè und wollte die Menschen beobachten. Stattdessen schaute ich fast nur Frauen hinterher, von denen viele über ihren Nylons solche bis über die Knie hochgezogene Wollsocken trugen, vermutlich, damit sie auch im Winter Mini tragen können. Am meisten aber sah ich einer  Taubenfütterin zu. Ich fragte mich: Warum sind Taubenfütterinnen immer alt? Warum tragen sie immer lange Röcke? Und warum diese Taubenfütterin nicht? Diese Frau zwischen diesen kopfruckenden und herumzuckenden grauen Taubenvögelchen und die herumfliegenden Brotkrumenschwaden erinnerten mich schließlich an meine Facebook-Aktivtitäten, warum, weiß ich wirklich nicht. Semmelwerfen!, dachte ich, diese Chatterei ist wie Semmelwerfen, eine taubenlose Werferei! Ich stand auf, mußte mich schon wieder strecken, obwohl ich das gar nicht wollte, und schlurfte weiter ziellos durch unsere Stadt und ihre vollen Ladenregale.

 

Natürlich kaufte ich wieder viel zu viel für den Kühlschrank ein, viel mehr als ich brauchte. Bei jedem Kauf eines dieser speichelfördernden Produkte dachte ich: Und das ist fürs Frühstück, tolles Sonntagsfrühstück, und das ist für Mittags, dieses können wir nachmittags essen, und jenes mögen die anderen gerne essen und Freunde einladen müssen wir sowieso schon lange mal wieder. Und wie immer redete ich mir zur abschließenden Beruhigung ein: Das reicht immerhin für mehrere Tage. Und: Solange, bis alles aufgebraucht ist, gehe ich in kein Restaurant mehr! Nein, in keines! Schnauze, in Keines! Und kaum daß ich mich versah, saß ich in meinem Lieblings-Fischrestaurant an meinem Lieblingstisch und aß meine Lieblings-Spagetti, während ich wieder zum Fenster hinausschaute. Diesesmal flogen Möven herum, während ich mir mit einer ähnlichen Stimmung wie heute früh wieder einmal vorwarf, daß ich doch eigentlich schreiben wollte.

 

Und jetzt hab ich es endlich geschafft, mich hinzusetzen, mich aus meinem Garten herauszulösen, in dem ich, einem zwanghaften Trieb folgend, mit meiner Säge noch schnell ein paar alte Äste absäbeln mußte und dann kleiner sägen mußte und dann in transportierbare Ministücke sägen mußte, und bei den Sägespänen wieder an die Tauben denken mußte, und deswegen schnell mal ins Facebook geschaut habe und außerdem ist es sowieso dunkel geworden.

 

Jetzt sitze ich mit einem neuen Teeaufguß an meinem Arbeitstisch. Statt Schreibdrang spüre ich Müdigkeit in meinen Knochen. Es war ein wunderschöner Tag heute, an dem ich alles andere gemacht habe, nur nicht das, was ich eigentlich wollte. Und weil mir das völlig wurscht ist, glaube ich auch, daß es gar nicht so wichtig ist, was ich will und was ich mache, weil sowieso etwas völlig Anderes passiert.

VorherigerNächster