Jeder weiß alles, was für ihn nötig ist.

GEWINNEN OHNE ZU KÄMPFEN – DIE MODERNEN MAXIMEN DES ERFOLGES (Niederschrift eines Vortrages während des Maia-Erfolgskongresses im Dortmunder Hilton-Hotel am 18. September 2011)

Diese Textstelle beschreibt ein Beispiel dafür, wie es schief gehen kann, wenn man durch kämpfen zu gewinnen versucht: Textstelle S. 19 im Buch „Gewinnen ohne zu Kämpfen“.

 

  1. Wir alle sind Träger eines Amtes

 

Was sind die Modernen Maximen des Erfolges? Ich fasse sie mit dem Begriff zusammen:

 

„Gewinnen ohne zu Kämpfen“.

 

Jetzt mag manch einer sagen: Das funktioniert doch nicht. Ich habe letztes Jahr einmal jemandem erzählt, dass ich an einem Buch mit diesem Thema schreibe. Das war ein Manager. Er bedauerte:

„Das interessiert mich nicht.“

 

Er sei ein so kompetitiver Mensch. Ihn würde ein Leben ohne Konkurrenz langweilen.Genau das ist das große Problem unserer Zeit. Wir donnern uns zu mit Action. Ohne Kämpfen geht es nicht mehr. Gegen andere. Und gegen uns selbst. Gewinnen mit Kämpfen hat immer das Ziel, besser, als die anderen zu sein. Gewinnen ohne Kämpfen ist die Kunst, mit dem zufrieden zu sein, was da ist. Das wiedererlernen zu können ist eigentlich der größte Gewinn. Weil was haben wir schon, außer das, was gerade da ist? Dieser Moment? Unser Leben kann im nächsten Moment zuende sein. Sollen wir unsere Handlungen daher nur noch auf das Hier und Jetzt ausrichten? Es kann aber auch sein, dass wir noch 50 Jahre lang leben. Manche Menschen werden 130 Jahre alt. Mit spätestens 99 haben sie vielleicht aufgehört, an ihr  Leben zu glauben. Weder in der Konzentration auf die kurze Endlichkeit, noch auf die lange Lebensdauer kann die Lösung liegen. Die Lösung liegt nicht außen, in irgendeiner Lebensdauer oder in irgendwelchen Faktenmassen. Sie muß und kann nur innen liegen.

 

Die heutige tief in unserer Gesellschaf verankerte Definition von Erfolg definiert sich allerdings fast ausschließlich durch die Gewinnanhäufung von Geld. Oder durch den Ausbau von Ruhm und Image. Wir sehen beispielsweise am Beispiel der aktuellen größten Problematik, die es in unserer Welt gibt, der Griechenland- und Wirtschaftskrise, dass es sich den Verantwortlichen nicht im Geringsten um Lösungen dreht. Sie vergleichen sich nur. Sagt der eine was, muß der andere auch etwas sagen. Etwas Besseres. Sagt der Wirtschaftsminister, man sollte bei Griechenland über eine „geordnete Insolvenz“ nachdenken, reden plötzlich alle über „geordnete Insolvenz“. Ich garantiere Ihnen, wenn jetzt heute plötzlich irgendwo eine Bombe hochgeht, oder eine Ratingagentur Russland herauf- oder herunterstuft, oder Angela Merkel sich bei einer Rede verschluckt, oder eine andere Sensation passiert, dann redet plötzlich keiner mehr über Griechenland oder die „geordnete Insolvenz“. Plötzlich reden alle über die die hustende Angela Merkel oder Russland oder welche Sensation auch immer. Und das, obwohl das Griechenland-Problem nach wie vor existiert.

 

Das Handlungsmuster der Menschen, die unsere Gesellschaft anführen, besteht aus  einem ständigen VERGLEICHEN und das BEWERTEN zusammen. Das ist beides nicht zielorientiert. Doch darin erschöpft sich das Muster unserer Regierenden gleichermaßen. Sagt der eine Hü, sagt der aus der Oppositionspartei Hot, egal wie sinnvoll die Aussage war. Dieses Verhaltensmuster unserer Politiker und Wirtschaftsführer kann man mit gutem Gewissen mit den niedersten menschlichen Trieben und Instinkten vergleichen: Im Hauen und Stechen, im Anhäufen von finanziellem Gewinn, Anhäufen von praktisch allem, was sie weiterbringt, im Trieb zu Ruhm zu kommen und auf der Karriereleiter weiter nach oben zu steigen. Ist es nicht ein erschreckend steinzeitliches Niveau, auf dem wir uns geistig und emotional befinden? Um die Sache dreht es sich immer erst Zweitrangig. Zuerst kommt die Gier nach dem schnellen Zugewinn.

 

Dabei sind all diese Menschen Amtsträger. Sie haben die Aufgabe, unsere Gesellschaft weiter zu bringen. Dass das mit diesem System „Gewinnen durch Kämpfen“ nicht funktioniert, sehen wir an den großen Beispielen unserer Zeit. Auch im Endloskampf zwischen Israel und Palästina geht es nur um das Abzirkeln von Machtinteressen, finanziellem Gewinnstreben und Geltungsbedürfnis.

 

Die Endlosdebatte um die Integration in Deutschland ist nichts anderes, als der Versuch, eine Trennung zwischen Menschen aufrecht zu erhalten, oder zu errichten, die längst zusammenleben und integriert sind. Integration ist ein beiderseitiger Prozeß. Und Zusammenleben ist eine Aktivität. Zusammenleben geschieht nicht passiv. Eine beiderseitige Aktivität. Keine Einseitige. Das kennt ein jeder von uns aus dem Dojang, der Trainigsraum des Taekwondos beispielsweise. Wenn einer plötzlich nicht richtig mitmacht, geraten er und die anderen auf diesem engen Raum in Not oder Gefahr. Das Miteinander wird gestört. Das System von Nähe und Distanz ist nicht mehr so leicht regulierbar. Das gesamte Miteinander fängt an zu wackeln. Man kann also nur mitmachen, anders geht es schlicht nicht.

 

2. Unser Wissen liegt brach: Gefahr für unsere Freiheit

 

Ich erwähne diese Beispiele, um auf das degenerierte Handlungsmuster unserer Leitfiguren aus Politik und Wirtschaft hinzuweisen, und weil das eine große Gefahr für uns und unsere Freiheit darstellt, weil das Vorbilder sind und deren Handeln auf uns Menschen und das Klima in dieser Gesellschaft abfärbt. Auch wir, auf die das abfärbt, sind Vorbilder. Für jüngere, für Kinder, für andere.

 

Wir leben mit einander zusammen in einer Welt, die nicht nur aus einem begrenzten Raum besteht, in dem ununterbrochen interagiert wird, und die auch über limitierte Ressourcen verfügt. Wir Menschen leben seit mehreren Jahrtausenden in hochentwickelten und mehr oder weniger zivilisierten Gesellschaften zusammen. Der Begriff des Gelehrten ist nicht erst heute erfunden worden, sondern bereits vor tausenden von Jahren. In diesen Tausenden von Jahren haben Millionen von Gelehrte, Weise und Philosophe gelebt. Es ist ein unermesslicher Schatz an Wissen entstanden. Wissen über den Umgang mit den Problemen untereinander, mit sozialen, gesellschaftlichen und psychischen Problemen. Und nicht zuletzt der Umgang mit Konflikten. Dieses Wissen umfasst Erfahrungen in praktisch jedem Lebensbereich. Diese Erfahrungen und die Maximen unseres Zusammenlebens sind in den unendlich vielen Tagen, Monaten und Jahrhunderten von Milliarden Menschen so intensiv gelebt worden, ich denke, man kann fast sagen, dass es ist, als wären sie in die Gene eines jeden Einzelnen von uns eingegangen.

 

Ich bin zutiefst davon überzeugt, aus eigener Erfahrung, dass jeder von uns über einen Zugriff auf diesen Wissensschatz verfügt. Ich gehe sogar noch weiter:

 

Jeder weiß alles, was für ihn nötig ist.

 

Und wenn er damit Probleme hat, steht nicht zuletzt in unendlich vielen Büchern alles darüber geschrieben. Das Wissen, über das wir verfügen, liegt sprichwörtlich brach.

 

Das Absurde ist aber: Wir verhalten uns aber nicht danach. Jeder tut so, als würde alles neu zu lösen sein. Als wäre alles ein ganz neues Problem, als wäre jeder Kampf neu. Alle Erfahrungen haben gezeigt, dass Kämpfen nichts bringt. Dass es nur Verletzungen bringt und im schlimmsten Fall Verlierer auf beiden Seiten. Bei einem echten Kampf ist es bekannterweise die beste Lösung, aus dem Kampf wegzugehen, zu fliehen, falls das geht. Erst wenn gar nichts mehr geht, und keine andere Chance mehr besteht, sollte man sich der Kampfsituation stellen und seine Kampftechnik so anwenden, dass man gewinnt. Das Problem vieler Menschen, wenn sie sich mit Konflikten beschäftigen, wurzelt in ihrer Motivation. Sie sind so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, dass sie sich selbst die neutrale und klare Sicht auf das wirkliche Problem verstellen. Das ist das Dilemma unserer egogetriebenen und mit einem antiquierten Erfolgsbild verhafteten Leitfiguren.

 

3. Integrität und integre Motivation – eines unserer größten Probleme

 

Ich habe einmal einem Bewerbungsgespräch im Dojang des Münchner Großmeisters Ko Eui-Min beigewohnt. Eine junge Frau und ein junger Mann wollten bei ihm die Kampfkunst Taekwondo erlernen. Der Meister fragte die Frau:

 

„Warum willst Du Taekwondo lernen?“

 

„Damit ich nicht vergewaltigt werde“ antwortete die Frau.

 

„Bist Du schon einmal vergewaltigt worden?“

 

„Nein“

 

„Bist Du bedroht worden?“

 

„Nein“

 

„Hast Du Angst vor Vergewaltigung?“

 

„Eigentlich nicht,“ gestand die Frau zögerlich.

 

Der Meister schaute die Frau nachdenklich an und meinte schließlich:

 

„Wozu willst Du dann Taekwondo lernen? Nach kurzer Zeit wird es Dich langweilen, weil Du merkst, dass Du es gar nicht brauchst. Du wirst damit aufhören, weil Deine Motivation eine falsche ist. Geh nach Hause und komme mit der richtigen Motivation wieder, die Dich über eine jahrelange Lehrzeit hinweg trägt!“

 

Die Frau kehrte nach einer Woche strahlend zurück und meinte:

 

„Ich weiß jetzt, ich will etwas über das Leben lernen.“

 

Wir führen uns wie Unwissende auf und verhalten uns so, als würden wir den Schatz unseres Glücks weit in der Ferne, außerhalb unserer Reichweite suchen. Das ist aber ein Trugschluß. Das Gegenteil ist der Fall. Das Wissen liegt in uns. Der Schatz unseres Lebens liegt nur in uns. Doch diesen Schatz gewinnen wir nicht durch das Kämpfen.

 

Darf ich Sie um ein kurzes Experiment bitten: Schauen Sie bitte einmal zu Ihrem Nachbarn. Schauen Sie ihm kurz in die Augen!

 

Bemerken Sie, wie sofort die Gedanken durch Ihren Kopf jagen, als wäre ein Computer dazugeschaltet worden?

 

„Schaue ich richtig?“

 

„Der andere schaut blöd, lieb, schön!“

 

„Was erzählt der Seidel da vorne für einen Blödsinn. Kenn ich doch alles!“

 

In dem Moment, wo wir uns begegnen, beginnen wir sofort und fast automatisch, zu Bewerten und zu Vergleichen. Dieses Bewerten und Vergleichen ist es, was zum Kämpfen führt. Wir kennen diese Gedanken auch aus dem Taekwondo-Training, wo wir pausenlos mit dem inneren Gehirnrattern konfrontiert sind, wenn die Stimmen in uns ihre Kommentare über die anderen im Training schwingen oder über uns selbst.

 

Es ist das Schwerste für uns, uns selbst und die anderen so sein zu lassen wie wir sind. Einfach zum Nachbarn zu schauen und nichts zu denken, sondern zu fühlen und wahrzunehmen was gerade ist.

 

Dieser eine Moment.

 

Schauen Sie bitte noch einmal zum Nachbarn und versuchen Sie, sich selbst dabei innerlich zu beobachten. Schließen Sie dann die Augen und beobachten Sie, was in Ihnen vor sich geht.

 

Diese Fähigkeit und dieser Vorgang, sich selbst beim Handeln und Denken beobachten und wahrnehmen zu können, ist eine Fähigkeit, die einzigartig für uns Menschen ist. Über sie verfügen nur wir Menschen. Es ist unser Bewusstsein, welches das macht. Und das Essentielle an dieser Fähigkeit unseres Bewusstseins ist es, dass es nie bewertet oder vergleicht. Das Bewusstsein kann unsere Bewertung zwar wahrnehmen und wir können dadurch registrieren, dass wir den Nachbarn für einen Idioten halten oder für attraktiv und sympathisch.

 

Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie in dem Moment, in dem Sie sich selbst mit Ihrem Bewusstsein beobachten, all diese kritischen und kommentierenden Stimmen weg sind oder zumindest lose herumbaumeln, dass Sie dabei gelassen bleiben können?

 

Diese kleine Übung, die Sie gerade gemacht haben, das ist das, was man Meditation nennt. Meditation ist nichts anderes, als das Bewusstsein zu trainieren, diesen Beobachtungsprozeß leichter und öfters zu machen, damit wir uns von dem Terror der inneren Stimmen lösen können, damit wir ein Leben selbstständige, autarke und authentische Menschen führen können.

 

Das Bewusstsein ist der Schlüssel. Es ist keine Instanz in uns, die sofort nach einer Handlung trachtet. Es muß überhaupt nie handeln. Darin liegt sein unschätzbarer Wert und deswegen beschreibe ich in meinem Buch „Gewinnen ohne zu Kämpfen“ diesen Wert an allererster Stelle so ausführlich, wie möglich.

 

4. Image und Bewusstsein

 

Ich will mit einem Beispiel aus meinem Leben verdeutlichen, was ich meine:

Seite 153 Gewinnen ohne zu Kämpfen

 

In diesem BEWUSSTSEIN, welches anspruchslos in uns existiert wurzelt unser Wissens – ruht der größte Schatz unseres Lebens.

 

Unsere Fähigkeit, unser Leben überhaupt als das wahrzunehmen, was es ist: Das ist der größte Gewinn überhaupt. Man erreicht ihn nicht durch Kämpfen.

 

Ich selbst habe in meinem Leben sehr oft an mir vorbei gelebt. Ich habe zwar schon sehr früh angefangen, nach dem Sinn im Leben zu suchen, zu meditieren, habe Asien bereist und habe gescheite Bücher studiert. Die habe ich dann im Koffer mitgenommen…. Der Grund für mein Getriebensein lag in meinem Unglücklich sein und meiner brennenden Unzufriedenheit. Schon als ich noch ein kleines Kind war, haben sie mir das gesagt, was all diese Menschen sagen, die andere Probleme kurieren wollen, indem sie in Wirklichkeit ihre eigenen behandeln:

 

„Warte, bis Du älter bist.“

 

„Das geht noch nicht!“

 

„Er kann das noch nicht, er ist noch so jung!“

 

Schon von frühester Kindheit ist bei mir so der Eindruck entstanden:

Das Wichtige im Leben kommt erst später. Und das nur, wenn ich mich unglaublich anstrenge, irrsinnig viel lerne, viel dafür tue und mich verdient mache, für was, war mir nie so richtig klar und es ist mir bis heute nicht einleuchtend, was dieses Undefinierbare wohl ist, für das man sich verdient machen muß, nur um sein Leben mit vollen Zügen genießen zu können.

 

So ging es los bei mir. Kaum war ich volljährig, wollte ich mich also selbst verwirklichen.

Ich begab mich auf die Rennstrecke unserer Konkurrenzgesellschaft und versuchte, in allen möglichen Bereichen, einen guten Job zu machen, der Beste zu sein, der Bessere, noch besser, größer, irrer: Bootsjunge, Barkeeper, Filmvorführer, Schauspieler, PR-Manager, Produzent, Investor, Holzhändler, Gastronom, Manager irgendwelcher Stars.

 

Ja, ja, ja – ich glaub es ja fast, habe viel erreicht. Ich glaub das aber nur fast! Und wenn ich mir vergegenwärtige, was ich erreicht habe, so entspricht das eigentlich den Insignien des vorhin beschriebenen Erfolgsverständnisses: ich habe gewonnen. Aber sonst? Und was war dann?

 

Übrig blieb absurderweise ein Gefühl von Erfolglosigkeit.

 

Ich hatte plötzlich keine Lust mehr, immer wieder neuen Projekten hinterherzuhecheln, nur um mir gegenüber immer wieder diese Erfolgsnummer zu beweisen. Ich hatte in meiner Zeit alles gelernt, nur das Leben nicht. Ich konnte die Konflikte und Probleme anderer Menschen lösen. Oft habe ich dabei Lügen erfunden. Beispielsweise habe ich Pressemeldungen verdreht und manchmal sogar erfunden (Beispiele).

 

Doch mir war nicht klar, was das für Folgen hat. Mein Bewusstsein war nicht eingeschaltet. Ich war mir über die Folgen meines Handelns nicht im Klaren. Mir drehte es sich nur darum, zu Gewinnen. Mein Kampf war ein einsamer Kampf. Ich habe zwar immer mehr Geld verdient. Und immer mehr Ruhm gehabt. Ich bin mit Zigarren im Mund aus Chauffeur-Limousinen ausgestiegen, zwischen München, London und Los Angeles hin und hergejettet. Und immer wenn ich zurückkam, habe ich gesagt, ich komme gerade aus L.A.

 

Ich war ein Angeber vor dem Herrn, und am meisten vor mir selbst. Ich habe mir mit dieser unglaublichen Action, die ich betrieben habe, etwas vorgegaukelt: Was ich für ein toller Hecht bin. Filmproduzent. Starmanager. Ich sitze neben Dustin Hoffmann und Faye Dunaway bei Preisverleihungen. Bei all diesem Bohei ist mir völlig das Wichtigste verloren gegangen, was ich hatte:

 

Mein Bewusstsein für mich selbst.

 

Ich lebte plötzlich in einer Imagewelt, einem Kaleidoskop von Abziehbildern, die ich mir situationsbedingt so hinrückte, wie es mir paßte. Traf ich einen aus der Medienwelt, sagte ich beiläufig, dass ich gerade aus L.A. käme (Eindruck) und was Claudia Schiffer gerade gesagt hätte (Eindruck). Dass ich gerade vielleicht aus Rosenheim kam, sagte ich nicht. Was ist schon Rosenheim im Vergleich zu L.A. Das kennt doch jeder, dieses Namedropping. Man spricht vom Jaguar-Fahrer, aber nicht vom Opel-Fahrer.

 

Wenn einer einen Porsche hat, fragt er seine Frau: „Wo hast Du den Porsche geparkt?“

 

Er fragt kaum: „Wo hast du das Auto geparkt?“

 

Das sagt man nur, wenn das Auto ein Opel oder ein VW ist.

 

Alles Abziehbilder, um bestimmte Imagebilder entstehen zu lassen. Und wenn ich einen Freund in meinem sogenannten Privatleben traf, zückte ich schon gerne mal das Zen-Buch und zitierte einen weisen Spruch, um mich als jemanden darzustellen, der unabhängig und erhaben war in diesem Imagezirkus von Abziehbildern.

 

Und als ich nach meinem Burnout und meiner Einsicht, dass es nicht so weiterging, nach ein paar Jahren Taekwondo-Training von Meister Ko den ersten DAN verliehen bekommen hatte, spürte ich es während einer Koreareise einmal wieder. Es erfasste mich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl: Da war doch so ein feuriges Brennen in mir, ich kannte dieses Gefühl, ich kannte es von früher, beispielsweise, wenn ich als Direktor eines Medienkonzerns einem Geschäftspartner meine Visitenkarte geben konnte. „Executive Vice President“ stand auf der englischen Version meiner Karte. Und ich gab natürlich lieber diese Karte weg, als jene deutsche, auf der ‚nur‘ „Direktor“ stand. Ich hatte als kleiner Präsident immer gerne und viele Visitenkarten bei mir. Weil es mir ein so tolles Gefühl vermittelte, jemandem eine Karte zu geben, auf der stand, dass ich ein Präsident war. In die Hose ging mein Toll-Gefühl natürlich, wenn der andere mir dann eine Karte gab, auf der auch Präsident stand, oder sogar etwas noch Tolleres.

 

Jedenfalls, als ich meinen ersten DAN verliehen bekommen hatte, habe ich dieses TOLL – Gefühl wieder gespürt. Ich dachte: Das gibt’s nicht! Da war es wieder da, wie eine Art Deja – Vu: Mein Präsidenten-Ego taucht in dem Moment wieder auf, als ich meine vom Kukkiwon-Präsidenten unterzeichnete, erste DAN – Urkunde in den Händen hielt???

 

Hm.

 

Was für eine verführerische Fatamorgana!

 

Für einen Moment lang überlegte ich tatsächlich, ob ich den schwarzen Gürtel deswegen zurückgeben sollte, weil ich mich so unreif fühlte und Angst hatte, wieder in mein altes Fahrwasser zu geraten. Die Szene spielte sich in Korea in einem Kloster ab. Und ich schaute abwechselnd in die Augen eines Mönches und die von Meister Ko. Der lächelte und schaute zu dem Mönch, der mich ansah, als könne er alle meine Gedanken lesen. Er sagte:

 

„Du bist nicht alleine! Hab keine Angst! Es geht uns allen so!“

 

Ich habe diese Geschichte von mir erzählt, um zu verdeutlichen, warum ich unser Bewusstsein für so ungeheuer wichtig halte.

 

Ich bin durch die Ereignisse in meinem Leben einen Prozeß durchlaufen, durch den ich mein Bewusstsein ständig schärfen konnte. Das Ego und der Stolz auf einen Erfolg sind zwar anwesend. Doch ich identifiziere mich nicht mehr so oft damit. Ich nehme es wahr, manchmal etwas konsterniert, weil ich dann denke, „bist du immer noch da, Du Egomane in mir Du…!“, doch dann gelingt es mir immer öfters, das mit einem leisen Lächeln und einer Prise Akzeptanz in mir sein zu lassen. Mein Hilfsmittel, um zu trainieren, dass mir das immer öfters gelingt, ist die Mediation. Und das ist nichts anderes, als das, was wir vorhin kurz gemacht haben.

 

Diesen Weg der Bewusstseinsschärfung und der Veränderung konnte ich nur gehen, weil ich Ziele hatte. Eines meiner bedeutendsten Ziele war mein Beschluß, mein Leben zu verändern.

 

Um das zu unterstützen, begann ich Taekwondo zu trainieren.

 

Im Taekwondo – Dojang habe ich wie noch nie zuvor die Bedeutung der Werte kennengelernt. Das für alle menschlichen Beziehungen entscheidende System von Nähe und Distanz wurde mir in meinen hunderten von Trainings mit anderen Teilnehmern besonders bei den Freikämpfen bewusst:

 

Wenn ich zu nah an jemandem dranstehe, kann ich mit einem Kick nicht ausholen. Und umgekehrt, wenn ich zu weit weg bin, erreiche ich ihn nicht. Solche Situationen sind Metaphern für das Leben selbst. In Partnerschaften gehen zu eng oder zu lose gelebte Beziehungen auseinander.

 

Wenn ich mich vor oder während einem Kampf mit anderen vergleiche oder mich selbst bewerte, mache ich aus dem Gewinnen einen Kampf. Zu Gewinnen gäbe es das Leben, den jeweiligen Moment mit vollem Genuß. Denn es könnte ja der letzte sein. …

 

Ich schränke mit der Bewerterei außerdem meine Fähigkeiten, mein Bewusstsein und meine Kampfkraft ein.

 

5. Heutige Politik: Amtsmissbrauch erster Güte

 

Und die „Modernen Maximen des Erfolges“ wurzeln im kampflosen Kampf, in unseren Werten, die jeder für sich einmal entdecken und ausformulieren sollte. Dass das kaum einer gemacht hat, und schon gar nicht die vielen die Werte zitierenden Politiker oder andere Talkshowgäste, zeigt schon die Situation, wie wir uns solche Leute auf der Straße vorstellen müssen:

 

Wie reagieren sie wohl, wenn ihnen einer begegnet, der ihnen sagt, sie wären ausgemachte Idioten? Können sie dann noch ihren vielzitierten Respekt für so eine Person aufbringen. Sie werden schnell entgleichen und ihr Werte-Geflöte verschwirrt irgendwo im Äther.

 

Ihre Werte durchformulieren, das sollten genau diejenigen, die ständig gescheit über sie daher reden. Die Wirtschaftsbosse, einige dieser immer gleichen 3 – 4  Halbstars auf Deutschlands roten Teppichen, die in Talkshows gerne ihre Schöngeistigkeit zur Schau stellen, und unsere amtsmißbrauchenden Politiker.

 

Warum spricht ein Rösler von der geordneten Insolvenz Griechenlands? Warum phantasiert er beispielsweise nicht darüber, Griechenland halt in Zukunft einfach finanziell auszuhalten und zu helfen, mit industriellen Aufbaumaßnahmen, einer neuen Infrastruktur etc., so lange, bis was aus dem Land geworden ist? So wie man das mit einem erfolglosen Familienmitglied macht? Sterben würden wir daran auch nicht. Im Gegenteil. Wir würden durch so eine Geste der Großzügigkeit näher aneinander heranrücken in diesem schwierigen Europa.

 

Die Chancen, sich gegenseitig zu helfen und das Land wieder auf die Beine zu kriegen, würden durch einen solchen gemeinschaftlichen Solidaritätsgeist rapide steigen, so wie das in einer Familie auch ist. Und im Trainigs-Dojang eines Taekwondo-Clubs wie dem von Meister Ko Eui-Min in München auch. Wenn ein Mittrainierender nicht gut ist, so wird der auch nicht auf „geordnete Weise“ rausgeworfen. Man bringt jemanden nicht in eine geordnete Insolvenz, der weiterhin zur Gemeinschaft dazu gehören soll.  Das wäre ja wie eine Art organisiertes und salonfähig gewordenes Versagen. Ein Virus, dessen Verbreitung ich nicht erleben möchte.

 

Warum Rösler aber so etwas nicht vorschlägt, liegt auf der Hand: Die von falschen Motiven gesteuerte Politikermeute würde wie die Hyänen über ihn herfallen – ‚weil er unser Geld so zum Fenster herausschmeissen will‘ – wäre beispielsweise der naheliegende, Stimmen- und Sympathie einbringende Slogan.

 

Deswegen ist Röslers Aussage als populistisch zu bewerten. Aufgrund der verfälschten Motivation, die dahinter steckt, gehe ich so weit, ein solches Verhalten, wie es übrigens heutzutage alle unsere Politiker an den Tag legen, als Amtsmißbrauch zu bezeichne.

 

Unser Zusammenleben ist wie gesagt eine Aktivität. Sie beinhaltet genau diese Werte, von denen alle quasseln aber weder etwas davon wissen, noch sie wirklich auf unsere Probleme und diese Welt ausformuliert haben. Ich empfehle einem Jeden, das zu tun, die eigenen Probleme und Thematiken einmal genau anzusehen und daneben die Werte zu formulieren, wie sie sich dazu verhalten. Ich habe das in meinem Buch auf persönliche Weise versucht:

 

Meine persönliche Werteliste steht in Kurzform auf S. 298. Auf über hundert Seiten habe ich sie aber auch ausführlich reflektiert. Dabei ist mir neben dem Bewusstsein und der Integrität aber noch ein ganz entscheidender, weiterer Wert aufgefallen:

 

6. Das „Ziel“

 

Was für Ziele haben wir eigentlich in unserer Gesellschaft? Da fällt mir kaum etwas ein. Steuern wir also praktisch ziellos in eine ungewisse Zukunft? Eine gespenstische Vorstellung, wenn man sie in Relation zu der Macht der technischen Instrumente stellt, die wir entwickelt haben und die unser soziales Leben bereits maßgeblich bestimmen: Das Internet, die Turbokommunikation, die ständigen Ereignis- und Meinungslawinen. Und wie sieht es mit dem Ziel im eigenen Leben aus? In Ihrem?

 

ZIELE zu haben, ist einer der essentiellsten Werte schlechthin. Beispielsweise wäre es doch ein ganz schönes Dauerziel, wertvoll zu leben. Nur so geht es, später, wenn man alt ist, dass man dann mit Freude auf sein Leben zurückblicken kann.

 

Also: Was für ein Ziel habt Ihr? Jeder Einzelner hier? Mit Euren Geschäften möglichst viel Gewinn zu machen? Was für ein Gewinn ist das, wenn man berühmt ist und Geld hat und was ist dann danach? Ich habe so viele reiche Menschen kennengelernt, die alle unglücklich sind. Sie haben kein Ziel mehr. Ich habe nichts gegen Geld und gegen das Zugewinnen. Von mir aus kann einer gerne Milliarden haben. Doch dann soll er auch in der Lage sein, sie zu genießen.

 

Ohne Inhalt und Werte lohnt sich der größte Reichtum nicht. Und diese Werte verankern sich in den Prinzipien unseres Zusammenlebens. Woher kommt das sonst, dass so viele Schüler kaum dass sie einen schwarzen Gürtel haben, zunächst einmal nicht mehr so oft ins Training kommen? Sie laufen draussen herum und geben mit ihrem Gürtel an.

 

Es fehlt ihnen der tiefere Sinn, der über die erste Dan-Urkunde hinausreicht. Der kann nicht im zweiten Dan liegen, denn was ist dann danach? Der dritte? Und dann…? Es ist der Inhalt, der Sinn des Ganzen, um das es sich dreht. Die Philosophie, die Verbindung des eigenen Berufs, des Geschäftes, des Sportes oder was auch immer man tun, mit dem den Werten im eigenen Leben.

 

Nur Gewinnen, indem man kämpft, führt daher nicht weit. Es ist eine Sackgasse. Dann müßt Ihr laufend neue Projekte erfinden, noch mehr Geld verdienen, immer wieder ein neues Handy kaufen, oder für einen Dojang immer wieder neue Schüler aquirieren, weil den alten irgendwann mit dem ersten schwarzen Gürtel der innere Antrieb ausgegangen ist. Wenn Ihr dagegen zuseht, dass Euere Aktivitäten, wie beispielsweise die Trainings in Eurem Dojang oder wie Ihr Euer Studio auch immer nennt, mit Inhalt und einem wertorientierten, philosophischen Überbau verbunden sind, werden die Schüler bleiben. Sie werden mit Freunde ihr Leben zum blühen bringen. Ihr werdet die Welt nicht immer wieder neu erfinden müssen, denn Ihr seid diese Welt und sie füllt sich automatisch durch Euch selbst an.

 

Denn im Leben lernt man nicht aus, genauso wenig wie im Kampfsport. Das ist das Tolle am Kampfsport, dass er eine Metapher für das Leben sein kann. Aber man muß das auch mit Leben anfüllen und dazu braucht es auch, dass man als Trainer oder Meister mit einem kritischen Auge auch seine eigene geistige Reife überwacht. Und dass man die Schüler aber auch nicht andersherum mit einem Wissens- oder Philosphieanspruch regelrecht erdrückt.

 

Jeder soll sich so frei entfalten können, wie er will, und wie es sein Lerntempo es bestimmt.  Der große Meister Ko Eui-Min und sein Meistersohn Ko Young-Jae haben mit mir immer wieder in sehr inspirierenden Gesprächen über die Bedeutung des Timings im Leben und beim Lernen gesprochen. Ebenso wenig, wie eine Pflanze schneller wächst, wenn man an ihr zieht, lernt ein Schüler schneller, wenn man ihn mit Wissensansprüchen erdrückt, mit Inhalten vollpfropft. Ein Schüler muß immer genügend Zeit dafür haben, seine innere Motivation in Einklang mit seinem Handeln und seinem Lernen zu bringen. Unter dem Dilemma, dass dies nicht geschieht, leidet unser gesamtes Bildungswesen in diesem Land. Wo lernt man schon etwas davon, wie das Leben funktioniert? Damit ist ein jeder mit sich alleine, elendiglich einsam geradezu. Im sofort nach der Schul- und Studentenzeit losbrechenden Karrierewahnsinn ist später noch weniger Zeit, seine integre Motivation zu pflegen. Kein Wunder, dass wir daher von einer Elite gewinnsüchtiger und konkurrenzfanatischer Irrer geführt werden, deren emotionale Reife und soziale Umgangsformen sich auf steinzeitlichem Niveau befinden.

 

Meditation wäre beispielsweise eine sehr gute Ergänzung für Lernprozesse, auch für Trainingsinhalte in Kampfsportstudios.

 

Sehen wir uns so, dass wir selbst Vorbilder sind. Verändern und reifen wir selbst. Von oben oder von außen wird keine Veränderung mehr kommen. Der Zustand ist viel zu verfahren. Das System viel zu verkrustet. Aber wir, jeder Einzelne von uns selbst, wir können etwas tun. Direkt und jeder für sich. Undogmatisch und individuelle. Daraus kann ein Schneeballeffekt entstehen, der vielleicht eine Veränderung bringt. Die bedeutendsten Veränderungen in der Geschichte sind immer aus dem Volk selbst heraus entstanden.

 

Bevor wir jetzt zum Bruchtest kommen, schließe ich mit einer Textstelle aus meinem Buch S. 298.

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