Die Krise nervt! – Ein paar Worte zu dem grassierenden Krisengeschwätz

Was  weiß ich schon über diese Krise? So gut wie nichts. Angelesenes Halbwissen, das sich in ständig neuer Mutation darstellt, aber inhaltlich nichts Substantielles enthält. Sogar unser stellvertretender Kanzler Rösler (privat ist er übrigens Hobbybauchredner) hat sich spezialisiert: Er spricht von einer „geordneten Insolvenz“ Griechenlands. Holla, was ist denn das schon wieder! Geordnet geht das also? Dann ist es ja wohl kein Problem. Ich würde vorschlagen, Rösler die europäische Führung für diese Geordnetheit zu übergeben!

Ein weiteres Beispiel für den zuckenden Krisennerv ist der aktuelle Titel des „Spiegel“: „Griechenland – Das geheime Szenario für den Euro-Ausstieg“ wird da versprochen. Doch selbst bei gründlichstem Lesen bin ich nicht fündig geworden, wo im Spiegel neben all den zusammenklamüserten Zitaten und Vermutungen etwas über dieses „geheime Szenazio“ steht. Dabei würde mich wirklich einmal interessieren: was passiert denn nun, wenn alles schief geht? Weiß das eigentlich irgendwer? Seit zehn Jahren wird jetzt über diese Krise palavert und langsam reicht es damit. Ich beginne mal, mich irgendwohin querbeet durch den Informationsverhau hindurch zu schlagen, weil ich irgendwie raus will aus dem Dickicht dieser Meinungen will, die mir in unzähligen Gesprächen um die Ohren gehauen werden und die ich auch selbst laufend von mir gebe:

Also so fing alles an: Der  Zusammenbruch der New Economy im Jahre 2000 beendete den Boom der 90er. Dieser Crash und nicht der 9/11th war der erste Auslöser dieses beispiellosen wirtschaftlichen Erdbebens mit seinen bis heute reichenden Folgewirkungen. Verstärkend hinzu kamen damals die Wahlbetrugs-Skandale um die amerikanischen Präsidentschaftswahlen zwischen George Bush und Al Gore. Sie erschütterten das weltweite Vertrauen in die Politik wie noch nie zuvor. Die Börsen stürzten deswegen nach dem eigentlichen Crash noch einmal in bodenlose Abgründe. Wenige Monate danach führte der 9/11 2001 zu einem erneuten Zusammenbruch der Börsen. Die Weltwirtschaft war  innerhalb kürzester Zeit dreimal schwer getroffen worden. Und wie üblich riefen die Politiker nach was? Nach mehr Kontrolle! Nach Verboten! Und schärferen  Gesetzen!

Dann wurde die Krise wurde von den Politikern irgendwann kurzerhand für beendet erklärt. Dass an den Krankheitsursachen aber nur symptomatisch oder gar nicht gedoktert wurde, rächte sich nur wenige Jahre später: Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 gründete auf einem ähnlichen, anarchieähnlichen Treiben der Finanzbranche, gegen das die Politiker doch eigentlich Vorkehrungen treffen wollten. Der damalige deutsche  Finanzminister Peer Steinbrück schrieb in seiner Biographie, in der er sich selbst ganz unschuldig ‚nichtwissend‘ nennt, sich aber kompetent fühlend wegen seinem hohen Rang, über diese Ereignisse berichtet. Er hatte also angeblich von dem Herannahen dieser Katastrophe nichts geahnt. Allerdings sind in den Monaten zuvor gleich mehrere andere US-Investmentbanken in Windeseile verkauft oder staatlich unterstützt worden. Hat er das auch nicht mitgekriegt? Ist die deutsche Politik also dumm, blöd, dummdreist oder andersherum: verlogen? Es kommen eigentlich nur diese Optionen in Frage.

Zudem ist es im Rückblick verwunderlich, dass die vergleichsweise wenigen Milliarden für die Rettung von Lehman Brothers vom US-Finanzministerium nicht arrangiert werden konnten (oder absichtlich bereitgestellt wurden). Es stellte schließlich unmittelbar darauf nicht das geringste Problem dar, ein Vielfaches dieser Milliarden für den Aufkauf maroder Immobilien-Schrottkredite und für wirtschaftliche Rettungsschirme bereitzustellen. Die werden nun 2012 fällig. Die erhoffte Wirtschaftserholung, welche diesen Trashkrediten die notwendige Wertsteigerung gegeben hätte, hat leider bis heute nicht eingesetzt. Bemerkenswert beim Lehman Brothers Crash war übrigens, dass der damalige US-Finanzminister Henry Paulson als entscheidender Akteur dieser Krise vorher Chef von Goldman Sachs war, der härtesten Konkurrentin von Lehman Brothers. Paulson, so heißt es, soll zudem ein Intimfeind von Richard Fuld, des Chefs von Lehman, gewesen sein. Goldman Sachs war neben Morgan Stanleys die einzige Investment Bank, die aus dieser Krise mit Bravour hervorging. Der Grund waren zwei Umstände: Goldman hatte auf einen Bankencrash spekuliert. Auch die Bank Morgan Stanley hatte bereits damals begonnen, ihre Strategie auf einen Staatsbankrott der USA auszurichten (bis heute übrigens). In einem auffälligen, aber bisher nicht besonders berichteten Zusammenspiel von ‚Timingzufällen‘ gibt die amerikanische Ratingbank Standard & Poors seitdem ihre herabstufenden Ratings europäischer Staaten in einem zeitlich sehr eng zusammenhängenden Abstand mit gewinnträchtigen Strategie-Meldungen von Goldman Sachs bekannt.

Seitdem geht es in Europa bergab. Das Epizentrum der Krise liegt plötzlich scheinbar nicht mehr in den USA, sondern in Europa! Plötzlich werden ganze europäische Staaten von amerikanischen Ratingbanken herabgestuft, obwohl sich deren  Schuldenstatus im Vergleich zu früher nicht maßgeblich verschlechtert hat. Und überhaupt: der Schuldenstatus der USA ist doch mit Abstand weltweit der höchste ist und die USA können ebenso, wie etwa die Griechen ihre Schulden kaum mehr bedienen. Noch viel schlimmer: Die größten, politischen Parteien der USA sind derartig verfeindet, dass sie zu keiner konstruktiven Zusammenarbeit mehr fähig sind. Sie bringen keine der erforderlichen Dringlichkeitsmaßnahmen auf die Beine (Sparmaßnahmen, Arbeitsplätze, Entbürokratisierung etc.). Doch das macht ja nichts, denn die USA werden von ihren eigenen Agenturen nicht, bzw. kaum, heruntergestuft.  Außerdem sind es ja die USA. Wie könnte man dieses glorreiche Land nur mit einem Land wie Griechenland vergleichen. Oder Europa?!

So. Und dann ist die Krise plötzlich vorbei, sagte Bundeskanzlerin Merkel im Frühjahr 2011, ebenso, wie sie kurz nach Beginn ihrer 2005 beginnenden Amtszeit die Krise in Deutschland plötzlich für beendet erklärt hatte. Und Wirtschaftsminister Brüderle freute sich, kaum dass er durch den zu Guttenberg – Skandal ins Amt geruckt wurde,  gleich einmal über einen „XL-Aufschwung“. Solche Sprüche verwundern bei Mitgliedern der Spaß- und Guidomobilpartei FDP kaum mehr, die ja nun auch das Griechenland-Problem mit einer „geordneten Insolvenz“ lösen will. Schlimm ist allerdings, dass all diese Sprücheklopfereien eine enorme mediale Achtung genießen und so für kurze Zeit immer wieder tatsächlich der Eindruck entsteht, die Krise sei vorbei.

Ja, denkt man, stimmt eigentlich, die Restaurants sind voll, die Kaufhäuser auch. Wo ist die Krise eigentlich? Wie sieht sie aus? Ist sie grau, vielleicht dieses graue Wölkchen, das weit dort oben ganz ‚geordnet‘ am Himmel wandert? Und schon geistern wieder positive Meldungen herum. Die Menschen geben wieder mehr Geld aus. Doch ach, dann geht’s aber gleich wieder weiter mit der Krise. Die Milliarden werden herumgeschleudert, und es gibt plötzlich ein neues, geflügeltes Wort: „Geordnet“!

Selbst die Politiker wissen mehr, was sie tun sollen. Wie sie sich verhalten, offenbart einen geradezu gespenstischen Mangel an Integrität und Verantwortlichkeit und einen scheinbaren Dilettantismus der verantwortlichen Akteure, dass man nicht aus dem Augenrollen herauskommt.

Das Versagen der Verantwortlichen gründet auf dem Werteverlust in unserer Gesellschaft. Wie diese Krise gehandhabt wird, offenbart, dass unser demokratisches System an den Grenzen seiner Kapazität angelangt ist. Seine Mühlen mahlen nicht mehr nur langsam, sondern in diesem Fall überhaupt nicht mehr, so erscheint es. Es fehlt an Zielen, an Visionen, an Mut, an Transparenz, was eigentlich der wirkliche, reale Zustand ist. Selbst die Medien schaffen diese Aufgabe kaum mehr. Selbst in nachrichtlichen Artikeln verstricken sie die Autoren immer öfters in essayistischen und subjektiven Betrachtungen, anstatt recherchierte Fakten zu berichten. Verständlich, denn sie kommen bei dem Meldungswirrwarr, den sie zu beachten haben, in Anbetracht ihrer redaktionsinternen Sparmaßnahmen, mangels Personal und Reisebudgets, nicht mehr mit dem Recherchieren hinterher. Dabei stellt gerade diese Krise eine Herausforderung an den investigativen und recherchierenden Journalisten dar. Diese Ausdünnung journalistischer Schlagkraft ist ein Armutszeugnis für den vorsintflutlich anmutenden, gewinnsüchtigen Erfolgswahn unserer Gesellschaft.

Keiner kapiert mehr etwas von dem, was wirklich los ist. Das wäre ja noch nicht das Schlimmste. Der Gipfel ist doch, dass es Keine zugeben will!  Deswegen grassieren abstruse und halbstimmige Meinungs- und Informationskonglomerate, wie die oben geschilderte Darstellung, aber keine durchdringend recherchierten Berichte.  Sie tragen zu einer ziellosen Desorientierung und haltlosen Meinungskolportation bei, die im Internet ihren verewigenden Segen empfängt. Hier wurzelt die wirkliche Gefahr für unsere Freiheit: In der Eigendynamik eines freiheitsstaatlichen Molochs, deren Verantwortliche ihren Erfolg auch heute noch ausschließlich durch Geldvermehrung und Ruhmanhäufung definieren und wissend schwadronieren und reüssieren.  Dieser Amtsmißbrauch bringt gerade in dieser Krise unsere Freiheit empfindlich in Gefahr. Wissen wir denn, in was für politischen Strukturen wir nach dieser Krise landen, die von diesem nichtwissenden Inkompenz gemanagt wird?

Chronische Krankheiten haben es so  an sich, dass die ganz schlimme Krankheit erst noch kommt. Dass es aber so scheint, dass man dagegen nichts tun kann, außer pausenlos darüber zu quatschen, das nervt tödlich. Und das macht Angst.

 

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