Noch was: Zusammenleben ist doch eine Aktivität, also los gehts!

Nachsatz zum ZDF – Mittagsmagazin vom 24. August 2011: Was ich noch sagen wollte…

Eigentlich wollte ich doch so viel sagen. Ich hatte mir vorher Notizen gemacht. Es war doch die Chance, in diesem anspruchsvollen Umfeld des ZDF-Mittagsmagazins endlich einmal etwas zu meinem Buch zu erzählen und zu den Dingen, die mir so wichtig sind, wegen denen ich das Buch überhaupt geschrieben habe. Ich hab es wieder einmal nicht richtig gebracht, das ist ein wenig das Gefühl, was anschließend in mir hängen blieb. Der Moderator hatte mir den Ball zugeworfen. Und ich fing an herumzueiern. Ja, ok, ich war übernächtigt, war um 3h morgens aufgestanden, um von Istanbul hochzufliegen. Doch das ist keine Entschuldigung. „Guter Auftritt“,  „souverän“ und „sympathisch“, o.k. das waren die meisten Feedbacks. Doch mir drehte es sich um die Inhalte, die ich rüberbringen wollte. Ob ich dabei sympathisch bleibe, das ist mir relativ egal. Mein Vater hatte es auf den Punkt gebracht: „Bei der Gelegenheit  hast Du viel verspielt!“ hatte er mir gesagt. Ja, das stimmt. Auf eine der wichtigsten Fragen hin, nämlich der nach dem wichtigsten Wert, habe ich mit „Zielen“ geantwortet. Doch hätte ich noch viel schärfer hinzusetzen sollen, warum. Das will ich hier tun:

Ich unterstelle uns allen und unserer Gesellschaft, allen voran der Politik und der Wirtschaft, dass sie keine integren Ziele haben.

Sie justieren ihre Ziele an der eigenen Beliebtheitsskala, Wählergunst oder dem antiquierten Prinzip, dass Erfolg bereits Erfolg ist, wenn man irgendetwas dazugewonnen hat. Integrität ist einer der bedeutendsten Werte. Das Praktizieren aller Werte und das integrieren derselben in die eigene Lebensweise bzw. Unternehmungsführung oder Politik. Aller Werte, nicht einzelner, nicht teilweise, nicht manchmal und auch nicht ab und zu mal. Immer und alle. Integrität funktioniert nur radikal. Integrität muß daher auch die Werte Toleranz, Aufgeschlossenheit, Respekt und Verantwortlichkeit beinhalten. Verantwortlichkeit  kann sich nicht nur auf den eigenen Wahrnehmungsradius beziehen. Sie bezieht sich auf unser Zusammenleben, auf alle Menschen auf diese Welt.

Die Zielsetzungen unserer Leitfiguren hören allerdings am Ende des eigenen Schrebergartens auf. Ihr Bewusstsein – ebenso ein entscheidender Wert – auch.  Die Zeit und die Entwicklung der Welt eilt an ihnen vorbei. Sie haben ihre Integrität verloren. Die wirtschaftlichen Entwicklungsstürme jagen  an ihren Makulaturentscheidungen um Milliardensubventionen vorbei. Und das Schlimmste ist: Wir sehen zu, bemerken das wissen viel dazu. Aber keiner tut etwas. Ja, was soll man auch tun?

Es fehlt an wirkungsvollen, modernen Werkzeugen des Protestes. Das Internet bietet hier bei Weitem keine ausreichend ausgereiften Mittel. Es ist zu sehr der blubbernden Eigendynamik sozialer Netzwerke ausgeliefert. Was ist, wenn das Geld weg ist? Nochmal Milliarden? Was mache ich mit einem Sohn, der nichts auf die Beine bringt und den ich bereits mehrmals mit Geld großzügig unterstützt habe? Trotz und gerade wegen der ziellosen Unterstützung wird er nichts mehr auf die Beine stellen.

Wir leben in einer Gesellschaft, die von Ziellosigkeit beherrscht wird, obwohl sich ein jeder denkt, Ziele zu haben. Die Illusion rührt vom mangelnden Bewusstsein über die Werte her. Wir benötigen visionäre Führungspersönlichkeiten, welche nicht nur von den Werten sprechen, sondern sie auch von innen heraus kennen und praktizieren. Vorbilder. Sonst wird der Entwicklungssturm der digitalen Technologien, der Turbokommunikation, der Eigendynamik im Internet, die im Erschrecken daraufhin immer wieder abrupten  Einschränkungen von Freiheitsgraden und Gesetzesverschärfungen so weitergehen. Wir sehen bereits Tendenzen in Russland und der Ukraine, in Italien, Ungarn, in den USA. Damit gerät unsere demokratische, freie Gesellschaft zunehmend in eine ernsthafte Gefahr. Die droht nicht von radikalen Parteien, schleiertragenden Religionen oder anderen faßbaren und mit Waffen bekämpfbaren Feinden, oft „Terroristen“ genannt . Sie droht wie alle wirklich ernsthaften Gefahren aus einer Richtung, die wir nicht kennen.

Wir brauchen Ziele, Visionen, eine Rückbesinnung auf unsere Werte, eine Neudefinition des Begriffes „Erfolg“, die sich nicht bis in alle Ewigkeit nur im „Gewinnen“ erschöpfen kann. Ich wurde vom Moderator Dr. Lehmann gefragt, was denn passieren würde, wenn die Werte berücksichtigt würden. Ich hätte präziser ausführen sollen: Wenn die Werte praktiziert werden, ist es unmöglich, dass Situationen wie die jetzige, entstehen. Die Werte definieren die Regeln unseres Zusammenlebens. Es wird scharfe Einschnitte geben, es werden möglicherweise umfassende Reformen durchgeführt werden müssen. Und es wird ein in unseren Breitengraden völlig neues Phänomen praktiziert werden müssen: Es heißt „Verzichten“. Es ist besser, jetzt das Verzichten zu lernen, als später und möglicherweise in Bälde dazu gezwungen zu werden. So wie es in der Ernährungsbranche den Begriff „Bio“ gibt, der für gesunde Lebensmittelproduktion steht, oder wie im Umgang mit der Natur der Begriff „Öko“ einen werterhaltenden Umgang mit unserer Welt beschreibt, genauso sollte es einen Begriff für den modernen und zeitgemässen Umgang von uns Menschen miteinander und mit dieser Welt geben.  Ein Wort, das so umfassende Ausführungen wie diese überflüssig macht. Dass es dafür noch kein cooles und prägendes Wort gibt, zeigt auf, dass wir zwar überall ausserhalb von uns selbst öko- und biomässig herumtüftlen, es aber zuverlässig versäumen, vor unserer eigenen Haustür zu kehren. Es existiert kaum eine wahrnehmbare Bewegung von Menschen, die sich mit diesem Thema aktiv und gesellschaftlich wirksam auseinandersetzt. Selbst die Medien tun dies lediglich ab und zu in kleinen Artikeln. Die „Zeit“, der „Spiegel“ und die „Süddeutsche“, sowie einige Sendungen in den öffentlich rechtlichen Sendern kann man hier allenfalls aufführen. Doch leider tröpfeln solche Inhalte noch viel zu sehr. Damit etwas passiert, muß es aber Schütten!

Im Umgang mit uns selbst und miteinander, was unser Zusammenleben betrifft, leben wir nach wie vor auf steinzeitlichem Niveau. Nach mir die Sintflut. Die Superkrise? Da leb ich nicht mehr! Unsere Kinder? Das haben die Generationen doch immer gelöst! Grauenvoll. Wir hauen um uns herum. Wir kämpfen ziellos vor uns hin. Im Auto an der Ampel brüllen wir den Fahrer des Nachbarautos als Idioten zusammen, aber im Gespräch  zitieren wir hochtrabend die Werte. Es ist höchste Zeit dafür, dringend und fünf vor Zwölf, mit diesem ständigen Kämpfen aufzuhören. Prinzipien wie Gewinnen oder Erfolg müssen um ein modernes Wertverständnis angereichert werden. Dafür braucht es Leitfiguren, die uns das vorleben. Vorbilder.  Wir leben in einem unglaublichen Wohlstand. Wir haben alles. Wir werden mit Sicherheit nicht verhungern, nicht sterben, wenn wir ein wenig durchatmen, den Pflanzen um uns herum gestatten, dass sie nachwachsen können, dass sie auch ein wenig in unsere abgesteckten Beete hineinwachsen können und nicht sogleich wie Unkraut herausgerissen und zusammen mit einer Handvoll Geld in ihr trockenes Land zurückgeworfen werden werden. So sehr wir diese Welt mit unserem Geld gießkannenartig zuscheissen – es wird die entscheidenden Krankheiten, an denen so viele Gesellschaften und die Menschen in so vielen Ländern leiden, nicht heilen. Sind wir erwachsen oder nicht? Dann sollten wir doch erkennen und auch so handeln: Globalisieren ist ein gegenseitiger Prozeß. Und Zusammenleben ist eine Aktivität. Sie geschieht nicht von alleine. Ich danke dem ZDF-Mittagsmagazin, seinen Redakteuren und dem wunderbaren Moderator Dr. Norbert Lehmann für die Möglichkeit, mich öffentlich zu diesen Themen zu äußern, wenngleich ichs nicht ganz so geschafft habe, wie ichs wollte.

Hier nochmal der Link zur Sendung:   http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1419080/mittagsmagazin-vom-24.-August-2011#/beitrag/video/1419080/mittagsmagazin-vom-24.-August-2011

 

VorherigerNächster