Mist im Kopf

Wenn man so mal kurz durch Wien, dann durch Berlin und dann durch Hamburg zuckt, zum ersten Mal ohne Taxi, sondern zu Fuß oder mit den Öffentlichen, bleibt folgendes hängen, also mir jedenfalls: Wien – alles etwas gedehnt relaxt. Sie haben wirklich gutes Essen dort und sie wissen sich zu benehmen. In Wien empfinde ich Wärme. Beim langen Fußmarsch vor der Lesung passiert nicht viel Aufregenderes, als dass ich mir an jeder zweiten Ecke überlege, ob ich jetzt in genau diesem Kaffeehaus hängenbleiben soll, speziell in meinem Sperl. Berlin habe ich ja bereits gesagt: Schrille Gegensätze. Je nach Planquadrat, in dem man sich aufhält biersaufende Penner, wildgewordene Tatooträger, aus allen Ecken quellende Touristenmassen oder kulturfanatische  Theater- und Museumsgänger. Standardgericht: Currywurst. Extrem schlechtes Essen generell. Selbst in Luxusrestaurants eine grauenerregende Küche und bei  den Italienern ein angebiedertes Knoblauch- und Balsamikum-Gemantsche, dass ich generell lieber zur Currybude geht. Wer sind in Berlin eigentlich wirklich Berliner? Sie haben etwas Brüchiges, diese Menschen in dieser Stadt. Oder wirft die Stadt ihren Schatten auf die Seele ihrer Einwohner? Beim langen Fußmarsch durch Mitte fühlte ich mich in kürzester Zeit eher immer auf der Flucht vor dem Platz, wo ich gerade war. Zum fünfundachzigsten Mal bin ich ungläubig durch das Holocaust – Denkmal gewandert, weil ich bis heute nicht fassen kann, wie man die Gedenkstätte einer ganzen Nation zu dem schlimmsten Verbrechen, das Menschen wohl je gemacht hatten, zu einem Vergnügungsirrgarten mutieren lassen konnte, in dem hunderte Menschen ähnlich wie in einer Jahrmarktattraktion Verstecken spielen und sich mit Grimassen fotografieren. Berlin ist für mich eine rätselhafte Stadt, fast so, als wäre die Stadt noch mitten in ihrer Geburt begriffen. Hat was Halbfrisches. Einerseits faszinierend, andererseits abturnend. Dann Hamburg. Endlos Currywurstbuden. Eine Mischung aus Altbauaristokratie und einer Architektur, die es nicht ganz geschafft hat, etwas zu werden. Eine Stadt, die keine Mitte hat und keine Seele, außer diese wie Unhöflichkeit wirkende, herb-harte Art der Einwohner, die sie dort ‚hanseatisch, so sind wir halt‘ nennen. Das gleißende Licht bricht in häßlicher Weise an braunen Backsteinbauten, in denen alle paar Meter die gelblichen Fensterflächen der Pilskneipen eine gewisse Trostlosigkeit verbreiten. Busfahrten mit rein- und rausquellenden Touristen,  Asiaten, dann Afrikaner, dann Amerikaner. Im Hotel über dem Frühstücksbuffet die alarmierende Warnung: „Essen nur zum Frühstücken, Mitnehmen nicht erlaubt, wird als Diebstahl verfolgt.“ Was ist, wenn man beim Weggehen frühstücken will? In der S-Bahn albert eine Gruppe von zehn Zwanzigjährigen über die Rasur ihrer Beinhaare, ihrer Irokesenschnitte, bei welchem Friseur das am besten geht, wer am schnellsten ein Mädchen gefickt hat und warum auch Serben tolle Menschen sind. Bei Thalia in einem Geschwür von einem Shoppingcenter-Komplex, wo ich sitze und händeringend auf Leser meines Buches warte, kommen heute am sonnigen Samstag bei 30 Grad fast keine Kunden rein. Die netten Verkäuferinnen rufen alle 15 Minuten zu mir irgendetwas von „Badeseen“ und „Sie sind ein Opfer der Sonne“ herüber. Immer, wenn ich gerade eine Flasche Wasser aufgetrunken habe und eigentlich kurz weggehen müßte, steht plötzlich eine Leserin vor mir und meinem Büchertisch. Langsam lerne ich meine Leser lieben. Eine ist sogar von außerhalb angereist. Mir werden absurde Fragen gestellt, die mich meistens völlig verunsichern, weil sie so überraschend daher kommen. Ich glaube eigentlich nicht, daß Liebe eine gewisse Reibung braucht. Aber vielleicht verwechsele ich leicht das Gefühl von Reibung mit dem der Liebe? Zwei  Bücher werden verkauft und ein paar Dutzend Handzettel signiere ich für Leute, die alle sagen, sie hätten mein Buch schon und die alle meinen: „Sehr gutes Buch“. Bis jetzt haben nur meine Leser etwas zu meinem Buch und dessen Inhalt gesagt. Sonst fast keiner. Ja, die Leser sind wirklich toll. Fast nur Frauen übrigens. Die mit den Handzetteln waren alles Männer. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mein Buch wirklich gelesen haben. Meine Frage, was sie mit dem signierten Handzettel denn machen wollen, beantworten sie mit Stirnrunzeln oder Lachen. Mein Scherz, der Handzettel könnte vielleicht ein guter Teekannenuntersetzer sein, kommt nicht gut an. So konzentriere ich mich aufs kommentarlose Signieren der kostenlosen Zettel und langsam betäubt sich dabei sogar die Frage in mir, was zum Teufel denn von jemandem wie mir ein Autogramm auf einem Zettel wert sein soll. Schließlich habe ich einen schönen Abend mit meinen Freunden Marion und Andreas gehabt mit interessanten Kommentare zu meinem Buch.  Und ein gutes Gespräch mit meinem alten Kollegenfreund Michael Kneissler gehabt, wobei sich gezeigt hat, dass der Eindruck von einer Stadt immer davon abhängig ist, mit wem man durch eine Stadt zieht. So. Jetzt zurück in München. Bin froh, dass das jetzt vorbei ist. Habe äthiopisch gegessen und beschlossen, das mit dem Schreiben relaxter anzugehen und erst mal ein Restaurant aufzumachen oder die Welt auf eine andere Weise nochmal aus den Angeln zu heben. Ich weiß nicht, was mich manchmal reitet. I don’t know.  Es muß ja ich selbst sein, dieser Reiter, wer sonst. Der Gerittene auch. Durchatmen, durchatmen. Atem beobachten. Den wackelnden Blättern der Pflanzen zusehen und den Wind spüren. Was mir alles für ein Mist durch den Kopf geht.

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