Lukas Lessing: Unklar ist mir aber, wie jemand gewinnen kann, ohne zu kämpfen?

Christian Seidel: Genau das eben sein lassen. Vor wenigen Tagen habe ich von jemanden gehört, den ich kaum kenne, dem ich aber ein oder zweimal in meinem Leben begegnet bin und den ich sympathisch finde und irgendwie einfach für einen guten Typen halte. Er soll überaschenderweise an Bauschspeicheldrüsenkrebs erkrankt sein. Daß dieser Mensch sterben wird, unterscheidet ihn aber gar nicht von uns. Es ist auch unklar, ob er sein Leben wirklich früher, als wir verlieren wird. Manch einer von uns mag früher an etwas anderem sterben. Und das ist der entscheidende Punkt: Allein in diesem winzigkleinen Vergleich liegt der ganze Schmerz begraben. Die überdimensionierte Identifikation mit diesem Vergleichen ist das Gift. Das Vergleichen macht so vieles zum Kampf und läßt den Moment aus unserem Bewusstsein zurückzucken wie einen wunden Nerv, der falsch angefasst wird. Deswegen finde ich, daß in der Aufgabe eines jeglicher ungesunder und unmnötiger Form von Konkurrenz und in der Zuwendung zum Moment der wahre Gewinn liegt. Das heißt nicht, daß Du plötzlich desinteressiert sein mußt, kein Business mehr machen darfst, gelangweilt herumhängen mußt, keinen Erfolg mehr haben wollen oder Dich mit niemandem mehr messen darfst. Es dreht sich um die innere Haltung dabei. Und darum, wie abhängig Du von den Ergebnissen dessen bist, was Du tust. Von ihnen unabhängig zu werden ist Gewinnen ohne zu Kämpfen. Wenn ich meine Erfahrungen zu einer verbalen Essenz bringen sollte, dann wäre es diese. Allerdings muß ich aufpassen, dabei keinem Trugschluß aufzusitzen: Auch dieses Ziel zu erreichen, kann nämlich allzu leicht wieder in einen Kampf ausarten. Womit ich nochmal zu dem besagten Moment zurückkehre, denn im nächsten bin ich vielleicht tot, und deswegen kann es sich um nichts anderes drehen.  Schau Lukas, daß ich aber kein Meister darin bin, zeigt, was mir gleichzeitig schon wieder durch den Kopf schießt: Es muß doch irgendeine Weisheit geben, hinter der all diejenigen her sind, die emsig suchen, aber nie eine erlösende finden. Sie haben Beistelltische in ihren Wohnungen stehen und diese Möbelart finde ich entsetzlich. Beistelltische in Wohnungen kommen mir vor wie Rennstreifen auf Stadtautos. Wozu sind sie da? Um Weingläser oder Bücher bequemer drauf zu legen oder um geschriebene Weisheiten in Greifweite zu haben? Ich habe diese entsetzlich unstylischen Gestelle bei mir abgeschafft. Warum zum Teufel brauchen Menschen Beistelltische, muß das sein, es ist mir einfach unklar!?

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