1. Tag: Die Freiheit ist kein Frühstücksei

Die Freiheit ist kein Frühstücksei

Ich habe den heutigen Tag mit einem mulmigen Gefühl begonnen. Beim Essen meines Spiegeleis fühlte ich auf fast schmerzhafte Weise mein Freiheitsgefühl berührt. Das ist natürlich kein Vergleich zu dem, was die Menschen in unfreien Ländern durchmachen. Doch fühlte ich mich ziemlich unter Druck. Als erstes hatte ich im Internet nachgesehen, was ‚Bloggen‘ überhaupt heißt. In einem Beitrag stand: „Wer bloggt, sollte genau aufpassen, was er schreibt. Seine Texte werden sehr lange gespeichert und wer weiß, wie unsere Zukunft aussieht.“ Ist das Bloggen also doch nicht so frei, wie ich mir gedacht habe? Wenn ich mich beim Bloggen über unsere Gesellschaft aufrege, so kann mir das also in zehn Jahren zum Verhängnis werden, falls wir plötzlich in einer Diktatur leben. Oder schon früher. Wie weit ist es eigentlich von mir bis zur Unfreiheit? Ich ging ins Cafe Puck, um meine Morgen-Brezel zu essen. Ich liebe es, wenn sich die kalte Butter in meinem Mund mit dem Salz des Laugenteigs und einem Schluck Darjeeling – Tee vermischt. Während dies geschah, musste ich an Ungarn denken. Die Menschen dort haben sich für eine ultrarechte Partei entschieden. Sofort wurde die Pressefreiheit abgeschafft -wie sonst soll man es nennen, wenn plötzlich beaufsichtigt wird, was geschrieben wird. Es ist grotesk, dass diese Frage im Europäischen Parlament auch nur diskutiert wird. Ich finde es ungeheuerlich, dass der ungarische Staatschef Viktor Orbàn als Ratspräsident der EU von allen Mitgliedern, inklusive unserem Land beinahe sang und klanglos akzeptiert wird. Die Distanz von mir in München bis zur neuen Unfreiheit in Ungarn beträgt nur etwas mehr als 500 Kilometer. Von mir bis Minsk in Weissrussland, wo der Diktator Lukaschenka den Oppositionsführer und dessen Frau auf Jahre ins Gefängnis werfen ließ, sind es nur etwas über 2000 Kilometer. Der Diktator hat einem siebenjährigen Kind die Eltern weggenommen, weil sie eine Bewegung anführten, die für die Freiheit gekämpft hatte. Und Ägypten, wo die Menschen nach der Freiheit greifen, ist weitere 1000 Kilometer weit weg. Was wird ihnen dieser Griff bringen? Mit leichtem Frösteln denke ich an das Land hinter den Alpen, es liegt etwas mehr in meiner Reichweite: Nur gut 250 Kilometer ist Italien entfernt. Auch dort gehen sie jetzt auf die Straße. Unser Traumland, die Hügel der Toscana, der Rotwein, die Lässigkeit der Bewohner. Dort biegt sich Berlusconi seine Gesetze zurecht, lässt das Dolce Vita zur sabbernden Maske eines gelifteten Clowns verkommen. Wonach greifen die Menschen dort?

Ich dachte mir immer, die Unfreiheit sei weit weg von mir, weit außerhalb meiner Reichweite, viel weiter weg, als dass mich ihre Krallen packen könnten. So beginne ich meinen ersten Blog mit ein paar zaghaften Überlegungen: Was darf ich, was will ich und was sollte ich schreiben? Der Wert der Freiheit, wie bemisst er sich eigentlich? Das beschäftigte mich heute früh mehr, als der Wert der Brezel und des Tees heute Früh, über den ich nachdachte, und der, bemessen an der Sauce in meinem Magen längst nicht mehr die 5 Eur 50 wert war, für die ich sie gekauft hatte. Doch das Frühstück gab mir Kraft zum Leben. Bis mittags musste ich nichts mehr essen. Es schmeckte gut. Ich konnte im Kaffeehaus herumschauen, mir frei meine Gedanken machen über all diese Leute. Der Nutzwert war mir die 5 Euro 50 wert. Doch zu Hause hätte ich das gleiche Frühstück für ein Drittel des Geldes haben können. War der Cafebesuch das restliche Zweidrittel wirklich wert? Ich kenne einige Leute, die so denken. Sie kommen mir wie knausrige Spießer vor. Ihre Engstirnigkeit ging mir schon immer auf die Nerven. Ich empfand geizige Borniertheit schon immer als freiheitsbedrohlich und habe große Tiraden darüber geschwungen. Doch jetzt sind mir selbst ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf geschossen. Werde ich nun 50 Tage lang alles nur noch nach dem Wertprinzip unter die Lupe nehmen? Grauenvoll, dieser Zwang. Nein, Werte dürfen kein Zwang sein. Ich mußte mich dieses selbstauferlegten Diktums sofort entledigen und atmete tief durch. Dann rang ich zu einer spontanen Handlung durch: Ich bestellte mir ein Spiegelei mit Speck, obwohl ich es gar nicht brauchte, denn ich hatte keinen Hunger mehr. Aber es war mein Stück Freiheit, das ich mir in einem Moment schenken wollte. Es lag vor mir, das Spiegelei, glänzend gelb und glänzend weiß. Die Distanz zu meinem Freiheits-Ei betrug vielleicht nur einen halben Meter – von meinen Lippen bis nach unten zum Teller. Während ich es in mich hinein schlürfte (ich esse das Eigelb von Spiegeleiern immer wie einen Kuss), bemerkte ich, dass ich ein wenig unfrei geworden war. Ich habe aus Freiheitsdruck ein Ei gekauft, das ich vorher gar nicht wollte. Ich habe die Unfreiheit geschluckt! Abstand: Minus 20 Zentimeter! Langsam ist sie meine Speiseröhre herunter gerutscht. Die Distanz blieb trotz der Fortbewegung gleich. Es bin alles ich. Freiheit und Unfreiheit beginnen in mir selbst. Und hören in mir drinnen auf. Freiheit verträgt keine Einschränkung. Sie braucht aktive Verantwortung. Und Disziplin. Und und und – auch ein bisschen Unfreiheit, ja? Muss das wirklich so sein? Also schreib ich einfach einmal los…

Heute Abend besuche ich eine Abschlussaufführung in einer Schauspielschule. Früher war es mein Traum gewesen, Schauspieler zu werden. Ich bin was anderes geworden. Jetzt machen die das gleiche, wie ich damals.  Vielleicht wird das mein Thema morgen. Mal sehen – Guten Tag! C

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